RM hat geschrieben:Man kann alles, was in Deutschland publiziert wird, bei der VG Wort anmelden und bekommt dafür etwa - o.k. viel ist es bei kurzen Artikeln nicht, aber bei Büchern wird man darauf ungern verzichten. Bei Dissertationen und Habilitationsschriften kommt es auf die Art der Veröffentlichung an. Da muss dann mindestens eine ISBN-Nummer drauf sein.
Damit hab ich mich jetzt noch nie näher auseinandergesetzt. Von welchen Beträgen reden wir da? Was bekommt man für eine Diss mit einer Auflage von 400 Stück? (Wenn sie bei einem Verlag erscheint, also mit ISBN)
RM hat geschrieben:Fast jedes YouTube-Video wird öfter angeschaut als ein im Netz veröffentlichter Artikel über Quantenchromodynamik. Wozu also der Aufwand, wissenschaftliche Artikel ins Netz zu stellen? Und über welche Aufmerksamkeit reden wir da?
Jedes Pornoheft wird häufiger gelesen als ein gedruckter Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Wozu also den Aufwand, wissenschaftliche Zeitschriften zu drucken?
Die einmaligen Veröffentlichungskosten sind bei Online-Publikationen wesentlich geringer. Zu den anderen Kosten siehe unten.
(Edit:) Zudem kann es gut sein, dass Onlineveröffentlichungen mehr gelesen werden als gedruckte. Schlichtweg weil sie googelbar sind. Ich habe über Google schon Dutzende passende Onlineveröffentlichungen gefunden, die ich mir gedruckt nie angeschaut hätte (weil Titel und Inhaltsverzeichnis nicht andeuteten, dass zum gesuchten Thema etwas passendes drinsteht.) (Edit Ende.)
RM hat geschrieben:Lass mal einen größeren Hoster in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und Du wirst sehen, wie schnell wichtige Web-Angebote einfach so verschwinden. Bücher halten nicht ewig, aber wenn ich 1000 Exemplare auf Bibliotheken in aller Welt verteile, habe ich eine Chance, nach 1000 Jahren noch 2-3 davon zu finden. Langzeitarchivierung ist ein sehr ernst zu nehmendes und immer noch ungelöstes Problem.
Ja, es ist ein Problem. Aber kein unlösbares. Aber dieses ungelöste Problem sollten wir als Herausforderung sehen und Onlineveröffentlichungen forcieren, damit die Wissenschaft(spolitik) sich dieses Themas verstärkt annimmt.
RM hat geschrieben:Ganz davon abgesehen, gibt es da ein Kostenproblem: Elektronische Publikationen aufzuheben kostet Geld, und das andauernd, nämlich neue Festplatten, viel Energie (Strom) und Personal. Bücher drucken kostet einmal viel, die Lagerkosten sind dann aber sehr gering.
Auch die Lagerungskosten von Büchern liegen nicht bei Null. Der Verlag Walter de Gruyter, dem die Bibliotheca Teuberiana "gehört", hat sämtliche Altbestände bis auf ein Exemplar vernichtet, weil die Lagerungskosten zu hoch waren.
Ich weiß nicht, ob es dazu generell seriöse Studien gibt. Aber ich würde mal schätzen, es kostet mehr, eine Bibliothek mit 50 000 Bänden als einen Server mit 50 000 PDFs mit gleich vielen Seiten zu betreiben. Eine Bibliothek muss beheizt, beaufsichtigt, geputzt, gewartet, eventuell die Räume gemietet werden etc. Demgegenüber sind Serverkosten (mit allem, was daran hängt) zwar nicht marginal, aber ich schätze nicht höher, sondern eher geringer. Lasse mich da aber gerne eines besseren belehren, wenn da jemand Studien kennt.
RM hat geschrieben:Wenn bei Springer oder Elsevier eine Publikation 5 Monate braucht, bis sie erscheint, liegt das nicht an der Langsamkeit der Druckmaschinen, denn die schaffen das in maximal 2-3 Tagen. Nehmen wir so eine Veröffentlichung wie Phys.Rev.Letters (
http://prl.aps.org/, eine der renommiertesten wissenschaftlichen Publikationen in der Physik). Dort steht dann z.B. "Received 25 November 2011; published 30 March 2012", also 4 Monate bis zur Publikation - und die sind sehr schnell. Aber ein guter Review erfordert viel Zeit. Aber Publikationen ohne Review haben in der Physik i.d.R. keine Chance auf Beachtung.
Der Druck selbst verschlingt wenig Zeit, ja. Aber die Druckvorbereitung und schließlich die Auslieferung braucht schon Zeit. Abgehen von der Erscheinungsweise: Onlinezeitschriften können fertige Artikel sofort veröffentlichen. Gedruckte Zeitschriften erscheinen eben nur zu bestimmten Zeitpunkten.
RM hat geschrieben:Das mit der Mund- oder Mailpropaganda funktioniert nur selten gut. Dazu muss man schon bekannt sein. Gute Verlage können das meistens besser.
Davon bin ich nicht überzeugt. Im wissenschaftlichen Bereich funktioniert es leider noch nicht, aber meine Online-Nachrichten konsumiere ich ungefähr halb-halb: Die Hälfte, indem ich gezielt Nachrichtenportale ansteuere, die andere Hälfte, indem ich Social-Media-Empfehlungen folge. Und ich habe das Gefühl, dass die zweite Hälfte die spannendere und aufschlussreichere ist.
RM hat geschrieben:Schnelllebigkeit in der Wissenschaft? Wofür? Wenn ich nur diskutieren will, mache ich das selten in Form von Veröffentlichungen. Wenn ich aber etwas veröffentliche, will ich, dass es seine Wirkung für mindestens die nächsten 10, besser die nächsten 30 Jahre behält. Bei guten Konferenzen ist das eigentlich Wichtige ja nicht, andächtig allen Vorträgen zu lauschen, sondern mit den Leuten zu reden, am besten in einem Pub bei einem Glas Guinness oder Chianti (je nach Geographie), z.B. um neue sich neue Projekte auszudenken. Das kann man nicht, wenn man zu Hause bleibt.
Man kann Projekte durchaus übers Internet planen. Das ist nicht der Punkt.
Warum sollte man nicht eine Veröffentlichungsform entwickeln, die beides ist - in 10 Sekunden verfügbar und vielleicht in 10 Jahren noch wichtig? Manche Tweets zu aktuellen Themen werden noch Jahre später zitiert. Auch in der Wissenschaft wäre so etwas denkbar. Veröffentlichungen, die schnelllebig sein können, wenn es darauf ankommt, aber genauso gut lange haltbar.
RM hat geschrieben:Ich meine, wenn man nicht in der Lage ist, seine Erkenntnisse in einen statischen Text zu überführen, braucht man sie auch nicht unbedingt zu veröffentlichen.
Warum? Ich kann das genauso umgekehrt behaupten. Grundsätzlich meine ich, dass eine wissenschaftliche Veröffentlichung "nutzerorientiert" sein soll. Und das können statische Texte kaum. In ihnen geht keine Verlinkung, kein Ein/Ausblenden von Elementen, keine optionalen Hervorhebungen - all das, was ein Text heute bräuchte. (Und auch PDFs nicht leisten können. Da sind wir noch ganz am Anfang der Entwicklung.)
RM hat geschrieben:ich möchte in keinem Online-Text lange herumklicken, um zu finden, ob mich was interessiert. Ein ordentlich geschriebenes Abstract ist da besser.
Ein ordentliches Abstract ist eine sehr hilfreiche Sache. wenn es mir aber gar nicht um den Hauptpunkt geht, sondern um einen Nebenaspekt, hilft ein Abstract genau gar nichts. Wenn ich in meinem Beispiel wissen will, welche Argumente Siegfried Hirsch 1841 vorgetragen hat, ist meine Baumstruktur jedem statischen Text überlegen. Da ist man mit Klicken viel schneller als mit Lesen/Überliefen eines statischen Textes.