RM hat geschrieben:Mal ein paar Bemerkungen zu den hiesigen Argumentationslinien:
Das Unwort "heutige Generation" finde ich schon sehr amüsant. Das impliziert wohl, dass ich zur "gestrigen" gehöre.
Nein, abwertendes sollte das von mir gesagte nicht implizieren. (Wollte wirklich keinem auf den Schlips treten.)
Es sollte lediglich implizieren, dass sich der Blick auf neue Medien bei Menschen, die damit schon in ihrer Kindheit aufwachsen, von dem derjeniger unterscheidet, die jene Medien im Erwachsenenalter kennengelernt haben.
Außerdem hat sich dieser Satz nicht auf die Langzeitspeicherung bezogen, sondern auf das Vorurteil, im Internet sei die Qualität per se schlechter, sowie auf die Lese-Geschmäcker bezüglich Online- oder Buchform..
RM hat geschrieben:(...) schließlich habe ich der Altphilologie schon vor knapp 20 Jahren die entsprechende Software für die Suche von Wörtern, Erstellung von Konkordanzen und die Möglichkeit, Kookkurrenzanalysen durchzuführen, zur Verfügung gestellt. Interessanterweise ist den Altphilologen erst rund 10 Jahre später richtig klar geworden, was man damit alles anstellen kann (die Neuphilologen wußten das schon früher, s. "Small World" von David Lodge).
Genau das meine ich mit der Veränderung des Blickwinkels. Es dauert eben oft eine Weile, bis man die Vorteile eines Mediums kennengelernt hat und ausnützt. Deshalb auch mein Hinweis darauf, dass wir hierbei sicherlich noch nicht alle Ressourcen optimal nutzen, gerade in Bezug auf die "semantische Indizierung", die noch in den Kinderschuhen steckt. Dass dies auch in den Philologien von Vorteil sein wird, liegt auf der Hand.
Abgesehen davon kann ein Artikel in elektronischer Form eben nicht nur aus Fließtext und Fußnoten bestehen, man könnte die Fußnoten in Referenzen umwandeln, die direkt auch das Referenzierte enthalten, Zitate ebenso ein Verweis auf die Quelle mit Bereichsangabe, womit ein viel stärkerer Zusammenhang zwischen einzelnen Arbeiten hergestellt werden könnte, ohne in einer Bibliothek unzählige Artikel und Bücher auf seinem Tisch auftürmen zu müssen.
RM hat geschrieben:Außerdem habe ich schon ein paar Sachen veröffentlicht, sowohl auf Papier als auch im Internet. Also würde ich mal feststellen, dass ich durchaus weiss, worum es geht.
Das hat niemand bestritten.
RM hat geschrieben:Und ich sage: Das Internet eignet sich zwar zur wissenschaftlichen Diskussion, also für den Austausch von Zwischenergebnissen, die eine Halbwertszeit von 2-5 Jahren haben, ganz gut, aber nicht für die Konservierung der Endergebnisse, und zwar aus den vorher genannten Gründen. Im Katastrophenfall ist das Wissen nämlich im Worst Case unwiederbringlich weg. Niemand hat einen Überblick, wo alle Server stehen, niemand weiss, wie redundant die Daten gesichert sind, niemand weiss, was mit der Hardware geschieht, wenn die Firma, der sie gehört, aufhört zu existieren. Außerdem gehören die Daten - das kann man in den meisten AGBs der meist US-amerikanischen Firmen nachlesen - mitnichten demjenigen, der sie zur Verfügung gestellt hat, sondern der Firma, die sie online stellt. Und was die Hardware betrifft, die wir für die ganze schöne neue Welt brauchen: Ich weiß nicht, ob euch klar ist, von wie wenigen Firmen wir diesbezüglich abhängen. Und diese Firmen haben ihre Zentrale alle nicht in Europa. All diese Dinge werden sich so schnell auch nicht ändern und wenn, dann eher nicht in die gewünschte Richtung. Diesbezüglich sollten wir auf jeden Fall strategisch denken.
Ich gebe dir völlig Recht, dass man sich zur Konservierung nicht alleine auf elektronische Medien verlassen sollte, deshalb hab ich auch schon im vorigen Beitrag geschrieben, dass man auf die Speicherung in Buchform nicht verzichten sollte. Das grundsätzliche Problem, das du ansprichst, haben wir aber hierbei ebenso: Bibliotheken und Verlage sind meist in privater Hand und wie man bei der Teubneriana gesehen hat, kann es auch hier passieren, dass aus Kostengründen alles eingestampft wird, was sich zur Lagerung nicht für die entsprechende Firma rechnet.
Der einzige Vorteil ist hierbei - wie du auch schon ausgeführt hast - dass es eben sehr viele Orte gibt, wo ein entsprechendes Buch oder ein Artikel in Papierform lagert, man also zwangsläufig Redundanzen hat. Genau diese Redundanzen sollte es aber auch bei der elektronischen Speicherung geben, etwa von staatlicher Seite (Nationalbibliotheken, etc.), deren Server dann im selben Land stehen. Du spielst wohl auf die neuen Cloud-Storage Systeme von Amazon (S3) und ähnlichen Anbietern an. Natürlich kann man sich darauf nicht verlassen und muss auch deren Verhältnis zum Datenschutz äußerst kritisch sehen. Dies heißt aber nicht, dass es grundsätzlich unmöglich ist, die Speicherung in elektronischer Form redundant sowie von seriösen staatlichen Stellen verwaltet, zu gestalten, so dass die Sicherheit - auch mittels Durchführung von Backups auf anderen Speichermedien - gewährleistet ist.
RM hat geschrieben:(...) Noch was zur Wikipedia: (...) Die meisten Online-Publikationen sind kaum zitierbar, da sie keine dauerhafte URL haben. Besonders Universitäten verschieben Dateien gerne mal woandershin. Dann sind die alten Adressen nicht mehr vorhanden. Was das Taggen etc. angeht, muss man die Autoren schon dazu zwingen. Man benötigt also einen entsprechenden Review-Prozess.
Ja, dem kann ich nur zustimmen, gerade bei der Wikipedia ist eine gegenseitige Kontrolle unentbehrlich. Was aber das Auffinden verlorener Dateien angeht, bräuchte es wohl einen Service wie die Wayback-Machine es für Webseiten darstellt, nur eben für PDF-Dateien, usw. Aber dafür ist dann wohl nicht genügend Platz vorhanden.
Es wäre außerdem wichtig, dass es nebst Papierform und gerade laufenden Systemen, ein Speichermedium gibt, das auch über mehrere Hundert Jahre stabil bleibt und nicht - wie bei CD und DVD befürchtet - schon nach wenigen Jahrzehnten den Geist aufgibt.
Ich befürchte aber, dass immer mehr Firmen (man nehme das Beispiel der Brittanica, die ab sofort nur mehr elektronisch erscheint), aus Kostengründen auf die Papierform verzichten, ganz ohne sich Gedanken über Redundanz und neue Langzeitspeichermedien zu machen. Es bräuchte deshalb staatliche Stellen, die einerseits nicht auf Profitmaximierung aus sind und redundante Systeme anlegen, um unsere Daten in elektronischer Form abzusichern, sowie andererseits auch die wichtigsten Artikel, Bücher, usw. in Buchform einlagern und nicht wegen zu hoher Lagerungskosten plötzlich einstampfen, wie es bei privaten Verlagen wohl immer wieder geschieht.
Luca hat geschrieben:Ich denke, als wesentlich ist bei dieser Diskussion aber auch herauszustellen, dass es nicht darum geht bzw. gehen sollte, das eine Medium gegen das andere auszuspielen, sondern dass es vielmehr gilt, die Vorteile, die das jeweilige Medium bietet, auszuschöpfen. Es geht demnach also auch nicht darum, dass das eine das andere verdrängen muss!
Genau so sehe ich das auch!
CIS hat geschrieben:Es geht hier um wissenschaftliche Veröffentlichungen. Und da sehe ich für Gedrucktes kaum Vorteile, viele Nachteile und bei Onlinepublikationen genau umgekehrt.
Man wird hier wohl nicht um eine "Zwitterlösung" herumkommen, denn man wird die Vorteile der Online-Verfügbarkeit ebensowenig missen wollen, wie die auf lange Zeit gesicherte Verfügbarkeit der Daten. Ich fürchte jedoch, dass aus Kostengründen eher auf letzteres verzichtet wird, als auf ersteres, denn "theoretisch" lässt sich diese Verfügbarkeit auch elektronisch herstellen und entsprechend von Versicherungsgesellschaften versichern
. Aber natürlich, wenn hier systematisch etwas schiefgeht, ist der Verlust von Daten wohl wahrscheinlicher als bei vielen Bibliotheken, die alle ein Exemplar vorrätig haben, auch wenn mehr als die Hälfte der Bibliotheken abbrennt.