Muß Latein nützen?

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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Medicus domesticus » Di 16. Jun 2009, 18:53

Pyrrha hat geschrieben:Auch all die schönen Begründungen, mit denen die Lehrer versuchen, Schüler vo Wert des Latein zu überzeugen, sind bei genauerem Betrachten für sich genommen nicht stichhaltig:
Es ist weniger Aufwand, nur Spanisch zu lernen, als erst Latein, um dann Spanisch leichter lernen zu können. Wie viele Fremdsprachen muss man lernen, damit Latein unter diesem Aspekt wirlich nützt?


Das sagt aber über den Nutzen der Lateinischen Sprache, genauso wie für andere Fächer nicht viel aus....Nutzen zeigt sich oft erst nach der Schulzeit.......
Schau, ich hatte LK Mathematik und LK Latein......aber irgendwie sehe ich im Nachhinein, dass mir beide Fächer "Nutzen" gebracht haben. Aber wie viele Schüler gibt es, die aus ihren beiden Leistungskursen keinen "Nutzen" gehabt haben? :?
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Pyrrha » Di 16. Jun 2009, 20:14

Ich weiß sehr wohl, optime Medice, dass der Nutzen des Latein anderswo liegt. Das Problem ist, dass die Vertreter und Verteidiger des Lateinunterrichts unter einem gewissen Messbarkeitswahn und Konkurrenzdruck mit diesen Argumenten den Nutzen ihres Faches beweisen wollen; misst man allerdings Latein nur an diesen Punkten, geschieht es völlig zu Recht, wenn die Mittel zusammengestrichen werden. Das Dilemma der Lateinverfechter ist, dass die wahren Argumente sich nicht verkaufen lassen und die falschen entlarvt werden. Die angeführten Punkte sind allesamt schöne Nebenprodukte des Lateinischen, aber keiner davon ist es wert, dass seinetwegen Latein gelernt wird, und es ist mehr als verständlich, wenn Menschen, die unter diesen Voraussetzungen Latein lernen, am Ende frustriert sind, weil sie feststellen, dass sie doch kein Hörverständnis des Französischen mitgeliefert bekommen, obwohl ja sämtliche anderen Sprachen ach so leicht sind, wenn man Latein kann.
Ach ja, ich hatte dieselbe LK-Kombination wie du und würde es sofort wieder wählen.
Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Medicus domesticus » Di 16. Jun 2009, 20:35

Pyrrha hat geschrieben:Ach ja, ich hatte dieselbe LK-Kombination wie du und würde es sofort wieder wählen.


Da bin ich komplett mit dir einverstanden, da ich meine das ist "die optimale Kombination" ;-) (vgl. die alten Griechen: Mathematik und Philosophie :chefren: )
Aber ich glaube, dass das gerade die "crux" ist. Viele Lateinverfechter sehen den Lateinunterricht viel zu stark von ihrem "Fach" aus.....
Das "Übergreifende" fehlt oft....
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon RM » Di 16. Jun 2009, 20:55

Pyrrha hat geschrieben:Es ist weniger Aufwand, nur Spanisch zu lernen, als erst Latein, um dann Spanisch leichter lernen zu können.

Der Meinung bin ich nicht ganz. Ich habe z.B. Italienisch in ein paar Wochen gelernt, als ich Latein schon ganz gut konnte. Es kommt natürlich darauf an, auf welchem Niveau man eine der romanischen Sprachen beherrschen will. Italienisch ohne Latein auf hohes Niveau zu bringen, ist jedenfalls sehr schwierig. Der wichtigste Nebeneffekt des Lateinlernens ist wahrscheinlich, die eigene Sprache durch ständiges Übersetzen besser in den Griff zu bekommen, da dies in modernen Sprachen gänzlich vernachlässigt wird. Das ist wohl auch der Hauptgrund für das steigende Interesse am Lateinischen in den letzten Jahren.

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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Pyrrha » Di 16. Jun 2009, 21:16

RM hat geschrieben:Ich habe z.B. Italienisch in ein paar Wochen gelernt, als ich Latein schon ganz gut konnte.
RM

Ich auch. Das meinte ich mit dem nützlichen Nebeneffekt. Dass gutes Italienisch ohne Latein schwierig ist, da stimme ich dir zu. Bloß jetzt nimm mal die Summe deines Aufwandes, den du betrieben hat, um Latein zu lernen, und den für Italienisch. Das ist mehr, als wenn du nur Italienisch gelernt hättest, weil ja alles doch irgendwann gelernt werden muss. Zwei Sprachen zu lernen ist wegen der Synergieeffekte nicht notwendigerweise doppelt so viel wie eine Sprache, aber es ist doch definitiv mehr als nur eine Sprache, und es wäre absurd, nur zu dem Zweck Latein zu lernen, um sich danach eine gewisse Kommunikationsfähigkeit im Italiensichen anzueignen.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Medicus domesticus » Di 16. Jun 2009, 21:21

Bloß jetzt nimm mal die Summe deines Aufwandes, den du betrieben hat, um Latein zu lernen, und den für Italienisch. Das ist mehr, als wenn du nur Italienisch gelernt hättest, weil ja alles doch irgendwann gelernt werden muss.


Pyrrha, ist jetzt nicht negativ gemeint, da ich dich verstehe, aber ist ein Aufwand zu lernen, da wir in der heutigen Zeit immer und stetig viel lernen müssen, negativ?
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon RM » Di 16. Jun 2009, 21:53

Pyrrha hat geschrieben:... um sich danach eine gewisse Kommunikationsfähigkeit im Italiensichen anzueignen.

Naja, ich meinte nicht "eine gewisse Kommunikationsfähigkeit", sondern z.B. Texte von Dante, Boccaccio, Galilei, Angiolieri, Guareschi, Michelangelo etc. verstehen zu können. Aber auch schon für einfache Dinge wie das Passato Remoto ist Latein sehr hilfreich :wink:

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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Zythophilus » Di 16. Jun 2009, 23:28

SALVETE
Vermutlich lernte RM nicht einst Latein nur, um später leichter Italienisch lernen zu können, wiewohl er, sobald er Latein konnte, vermutlich schon begriff, dass diese Sprache auch für das Erlernen einer romanischen Sprache hilfreich sein würde.
Solche "nützlichen" Aspekte der lateinischen Sprache sind gewissermaßen Pluspunkte, die zu der grundsätzlich sinnvollen Beschäftigung mit dieser Sprache dazukommen, und bieten schöne Argumente gegenüber Skeptikern.
Wenn ich weiß, dass ich Spanisch können muss, der Rest mich aber nicht interessiert, werde ich nicht zuerst Latein lernen, um nachher das Spanische leichter mir aneignen zu können.
Sollte ich aber nicht wissen, ob ich später einmal Italienisch, Spanisch oder Portugiesisch brauchen werde, hat Latein mehr Sinn als eine der roman. Sprachen, wenn es sich nicht um die später benötigte handelt.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon RM » Do 18. Jun 2009, 08:17

Wer weiß in der Schulzeit schon, was er später mal brauchen wird? Latein wird aber i.d.R. in einer Weise betrieben, daß man besser verstehen lernt, wie Sprache generell funktioniert, d.h. es hilft durchaus auch beim Lernen anderer Sprachen (Russisch, Arabisch, ...).

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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Apollonios » Do 18. Jun 2009, 19:11

Nach längerer Zeit einmal wieder in einer einst von mir angestoßenen Diskussion, finde ich es spannend, wie sehr sie Thema bleibt.
Allerdings beunruhigt mich eines. Es wird weiter und immer weiter debattiert, wie man Nutzen definiert, und ob nicht Latein doch irgendwo nützlich ist, weil es ja nicht sein kann, unnützes Zeug zu lernen.
Auch wenn in dieser Diskussion kluge und gute Worte zur Nützlichkeit von Bildung und Sprachverständnis gesagt wurden, bleibe ich zutiefst dabei, dem Unsinn eine Lanze zu brechen:
Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten leidenschaftlich gern mit unnützem Zeug (Literatur), und auch als Freizeitbeschäftigung finde ich unnützes Zeug (Musik) richtig gut. Nebenbei mag ich Latein - und ich habe keine Lust, herauszufinden, ob ich ohne Latein noch weniger Erfolg hätte als mit und halte das auch nicht für sinnvoll, aber auf Latein verzichten möchte ich, wie schon oben gesagt, keinesfalls. Nicht weil es nützen könnte, sondern weil es genauso unnütz ist wie Bachkantaten, Giottofresken und die Erinnerung an einen Spaziergang im Garten.
Was Schulunterricht angeht, so soll er auf das Leben vorbereiten - und zum Leben gehört auch anderes als das nur Nützliche, gehört auch Kunst in jeder Form - warum gäbe es sie sonst? - und die Freude an Kultur im weitesten Sinne. Na gut, meinetwegen kann man auch das Vermitteln der Grundlagen hierfür einen Nutzen nennen...
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon RM » Do 18. Jun 2009, 19:58

Naja, ich würde die Debatte um den "Nutzen" jetzt nicht so abtun, als wäre sie unwichtig. Man kann sich nämlich nur um "unnützes Zeug" kümmern, wenn man sich ab und zu mal sattißt. Je weniger wir dafür tun müssen, desto mehr Zeit haben wir, uns dem Wahren, Schönen, Guten zu widmen. Aber warum soll Latein nicht ab und zu nützlich sein dürfen? Darum habe ich ja gefragt, wie man "Nutzen" überhaupt definiert und hatte durchaus nicht nur pekuniäre Aspekte im Sinn. Haben Kunst und Musik etwa keinerlei "Nutzen"?

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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon late starter » Fr 19. Jun 2009, 20:34

Noch einmal: Latein ist der Schlüssel zu vielen Sprachen! Nicht nur zu den romanischen! Dank der "Umtriebigkeit" ( ein hübscher Euphemismus..., Imperalismus klingt da doch gleich viel aggressiver) der Griechen/Makedonier und der Römer und dank deren wirtschaftlichen Aktivitäten und des kulturellen und wissenschaftlichen Austausches hat Latein u.a. auch in vielen nordafrikanischen und asiatischen Sprachen seine deutlichen Spuren hinterlassen ( z.B. Hindi : "khana" > essen, das Essen oder "bas"> genug, " no"> neun, wahrscheinlich auch im Farsi, auch dort bedeutet "no" neun oder schisch[>Kebab]) sechs), ebenfalls im Urdu, Paschtu und Afghani, bzw. Vokabeln von dort adaptiert. Gleiches gilt für die slawischen Sprachen.
Genau wie es heute die englische Sprache tut, bzw. als Sprache der führenden Imperialmacht getan hat, was wiederum dazu führt(e), dass viele vom Latein geprägte Vokabeln (s. PC, z.B., wir alle sitzen gerade vor einem...) sich auch heute noch immer weltweit verbreiten.
Eine zusätzliche Verbreitung dieser "toten Sprache" fand bereits im Mittelalter statt, wenn auch damals überwiegend innereuropäisch, denn Latein war die Sprache des Handels, der Kirche und der Wissenschaft, t.w. auch der Poetrie und der Verwaltung.
Selbst in der deutschen Sprache lässt sich, nicht nur in der Grammatik, sondern auch in unseren Vokabeln von Auquarium und Apotheke über "muhen", jaulen/heulen, Kloake, Vagabunt, klammheimlich, Kondom, Latrine, Sack und Kiste etc. etc. bis dumm (eigentlich keltischer Ursprung >Dumnorix, aber ohne seine Ermordung durch die Römer, wäre er gänzlich unbekannt geblieben) und zum Ziegel, der lateinische Einfluß nicht verleugnen. Und dabei waren große Teile Germaniens niemals unter römischer Herrschaft und bin ich blutiger Lateinanfänger (sonst wären mir noch viel mehr deutsche Vokabeln mit griechisch/lateinischer Ethymologie eingefallen..)!
Wenn man Latein also nicht nur als Zugang zu einer oder zwei romanischen Sprachen betrachtet, sondern als (direkten) Zugang zu den meisten europäischen Sprachen (außer finnisch) und als (indirekten) zu vielen anderen, denn auch die müssen über eine Grammatik verfügen um zu funktionieren, und genau diese Mechanismen erlernt der Lateinschüler, dann stellt sich der "Nutzen" von Latein ganz anders dar, dh. die Rechnung Latein + italienisch bedeutet viel mehr Aufwand als nur italienisch allein, geht dann nicht mehr so einfach auf, denn Latein + englisch + italienisch + spanisch rechnet sich schon viel besser und ein besseres Verständnis der eigenen Sprache gibt es gratis noch dazu!
Der scheinbare Denkfehler dieser Argumentation, nämlich dass der des Englischen bereits Kundige von Haus aus dann natürlich auch ohne Latein einfacher und schneller italienisch und spanisch lernen wird (allein schon weil sich viele Vokabeln ähneln, wenn auch nur orthographisch), erklärt sich aus der nahen Verwandschaft dieser Sprachen und dafür ist wiederum Latein verantwortlich!

Wir sollten also einmal über eine Art von modernisierter, leicht vereinfachter und "entrümpelter" paneuropäischer Sprache nachdenken, die auf Latein basiert, denn dies würde die intereuropäische Kommunikation enorm fördern, endlich eine kollektive europäische Identität beflügeln, die Verwaltungskosten der europäischen Institutionen senken und ihre Arbeit stark beschleunigen!
Nota bene, natürlich sollten die europäischen Naytionalsprachen erhalten bleiben! Europa lebt von seiner Vielfalt!
Sollte sich diese Vorstellung jemals durchsetzen, so würde sich die hier geführte Diskussion erübrigen...
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Laptop » Sa 20. Jun 2009, 15:47

Zahlwörter gehören zum Inventar und das wird nicht so leicht ausgetauscht durch ein Superstrat. Insofern glaube ich nicht, daß "no" von "novem" entlehnt sein soll. Man kann da viel vermuten, aber das muß erstmal belegt werden, sonst findet man sicherlich auch auch vermeintliche Ähnlichkeiten zw. Atztekisch und Bayrisch. Wer suchet der findet.

"Dumm" soll von Dumnorix kommen? Wer sagt das? Und was ist mit tumbe, dämlich, taumelig, taub, usw.? Ich glaube Adelung hätte etwas dagegen, ein so genuines Wort mit seinem ganzen Rattenschwanz an Kind- und Kegel-Wörtern von einem einzigen Personennamen abzuleiten.

Und wir reden hier übrigens wieder nur über Kenntnis von Fremdwörtern, das einzige Argument pro Latein, was ich wirklich konkret finde. Übrigens, wenn du hier über Kenntnis von Fremdwörtern sprichst, solltest du sowas wie "Poetrie", "Vagabunt" und "Ethymologie" meiden. ;-)

Ich muß sagen, daß ich dir beliebig viele Gebiete nennen kann, die für's Leben nützlicher sind als Latein. Latein ist eigentlich nur von Belang für Sprachinteressierte, die einen Beruf oder ein Studium wählen möchten, das ganz eng mit Sprache (Sprachwissenschaft) verbunden ist. Aber selbst als Historiker kommt man sehr gut ohne Latein aus, und Mediziner lernen ein paar Fachwörter auswendig, fertig. Der Rest ist dann Handwerk und Spezialisierung um erfolgreich tätig zu sein.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Apollonios » Sa 20. Jun 2009, 19:06

late starter hat geschrieben:... bis dumm (eigentlich keltischer Ursprung >Dumnorix, aber ohne seine Ermordung durch die Römer, wäre er gänzlich unbekannt geblieben) ...

Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache:
dumm Adj. Adv., mhd. tump(b), ahd. tumb, asächs. anfr. afries. ags. engl. dumb... Germ. Grundbedeutung ist 'stumm' (s.d.), von da geht eine verzweigte Entwicklung aus, die schon ahd. zu 'jugendlich unerfahren, töricht' geführt hat. Angleichung des alten mb zu mm vollzieht sich in mhd Zeit unter Vorantritt des Md. (wie in Imme, krumm, Lamm, Zimmer). ... *dhumbhos 'dunkel' wird durch slav. Folgeformen gestützt. Der Bedeutungswandel von 'dunkel' zu 'stumm' wird durch 'unverständlich' vermittelt.

RM hat geschrieben:Aber warum soll Latein nicht ab und zu nützlich sein dürfen?

Natürlich darf es. Ich meine ja nicht, daß man mit Latein nichts Nützliches mehr anfangen darf - sondern daß mir diese ewige Suche nach einem finanziell meßbaren Nutzen von allem, was man lernt und tut, auf die Nerven fällt und auch ein wenig Angst macht. Wenn wir uns nur noch am sofort sichtbaren Nutzen orientieren, vielleicht auch, wie weiter oben vorgeschlagen wurde, Ethik, Musik und Sport aus dem Schulunterricht verbannen, landen wir bei einer Gesellschaftsform, in der alles, was nicht Geld bringt, als Sünde angesehen wird.
Selbstverständlich ist Nutzen in einem weiter gefaßten, menschlicheren Verständnis alles, was das Leben auf Dauer unterstützt, erleichtert oder angenehmer macht - also Musik ebenso wie die Waschmaschine, lateinische Lyrik ebenso wie Krankenpflege. Aber die eingangs zitierten Forscher haben mit ihrer krampfhaften Suche nach einem meßbaren Nutzen des Lateinlernens wohl nicht dieses, sondern ein kurzsichtig auf den sofort in Geldwert meßbaren Nutzen gemeint. Dagegen - nicht gegen die Möglichkeit, über das Lateinische zu ein paar Erkenntnissen zu kommen - wehre ich mich. Wir sind uns also vermutlich ganz einig.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon RM » So 21. Jun 2009, 13:05

Ja, höchstwahrscheinlich sind wir uns einig. Diese Debatte verfolge ich nun schon seit geraumer Zeit und bin immer wieder erstaunt, wie kurzsichtig mancher "Wissenschaftler" argumentiert. Bei vielen Leuten scheint sich das Quartalsdenken inzwischen so verfestigt zu haben, daß für sie nur noch kurzfristige Erfolge zählen. Das Problem dabei ist, daß solche Argumente von der Politik aufgegriffen werden, um z.B. Reformen an Schulen durchzusetzen. Dabei steht aber eher Vereinheitlichung als Diversifizierung auf dem Programm, d.h. daß nachher alle Schüler dasselbe lernen sollen und es kaum Angebote jenseits des Mainstreams gibt. Der Boom des Lateinischen, den man in der Nach-PISA-Ära erkennen kann, ist zwar erfreulich, aber diese Entwicklung ist im Zuge der Verkürzung der Schulzeit und mit Einführung der sehr verschulten B&M-Studiengänge schon wieder gefährdet. Wozu studiert man Latein? Die meisten kommen nach dem Studium wohl wieder dahin, wo alles anfing, nämlich in die Schule, nur auf die andere Seite des Pultes. Wenige finden Arbeit in einem Verlag, einige beim Fernsehen und bei der Presse, ein paar bleiben der Uni treu.
Was würde uns ohne Latein fehlen? Mit Sicherheit wäre dann ein bedeutendes Stück unserer Vergangenheit nicht mehr zugänglich.
Doch was kann man mit Lateinkenntnissen an Neuartigem produzieren? Hier kommt meiner Meinung nach der Aspekt der "Nützlichkeit" am ehesten zu tragen. Und da fallen mir tatsächlich einige Dinge ein, die mit den typischen schulischen Themen weniger zu tun haben. Diese wurden von den Leuten vom Fach lange belächelt, wobei sich auch hier im Denken viel getan hat. Lateinische Nachrichtensendungen, römisches Kochen, Toga tragende Museumsführer und Ben-Hur-Festspiele hat man noch vor 30 Jahren selten genossen. Was dem Lateinischen noch nicht gelungen ist, obwohl das Potential dazu da wäre, ist, allgemein als richtige Sprache akzeptiert zu werden. Dafür müssen wir noch einiges tun. Aber für die vermeintliche "Nützlichkeit" des Lateinischen wäre es ein gewaltiger Schritt.

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