Muß Latein nützen?

Für alle Fragen rund um Latein in der Schule und im Alltag

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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Laptop » Mo 15. Jun 2009, 00:38

Naja, Latein ist sinnvoll, wenn man Jura, Medizin studieren möchte, evtl. auch sinnvoll bei einem Archäologie-, Geschichts- oder Linguistik-Studium. Ansonsten bringt es einem genauso wenig finanziellen Vorteil wie Sport, Religion oder Ethik. Schule soll u.a. Allgemeinbildung vermitteln, und ob Latein zu dieser gehört, darüber läßt sich streiten.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Marcus » Mo 15. Jun 2009, 01:29

Ich finde bzgl. solcher Fragestellungen immer Humboldt noch sehr interessant:
http://alturl.com/zpdt
(Kopieren und manuelles Einfügen der URL sollte funktionieren. Ansonsten http://books.google.com/books?id=nXMTAA ... 99&jtp=255 über nen US-Proxy öffnen ;) )
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Tiberis » Mo 15. Jun 2009, 02:03

Schule soll u.a. Allgemeinbildung vermitteln, und ob Latein zu dieser gehört, darüber läßt sich streiten.

die frage ist, ob alle diejenigen, die ständig das wort "bildung" im munde führen, überhaupt wissen, was darunter zu verstehen ist. sie reden zwar von bildung, meinen in wahrheit aber ausbildung und somit die vorrangige vermittlung von kenntnissen und fähigkeiten, die im berufsleben unmittelbar eingesetzt werden können und daher folgerichtig als nützlich bezeichnet werden.
im gegensatz zu diesem zweckorientierten, ökonomischen "nutzen" steht die eigentliche bildung, deren ziel nicht die adaptierung des einzelnen an die interessen der wirtschaft, sondern - wie ich es verstehe - die freie entfaltung des individuums und seiner begabungen ist oder jedenfalls sein sollte.
wenn eine gesellschaft sich freie, denkende, mündige und kritische bürger wünscht, wird sie sich zu bildung in diesem sinne bekennen. ob das heutige "bildungs"system dieser vorstellung entspricht, möge jeder für sich beantworten.
überhaupt nicht streiten läßt sich m.e. darüber, ob latein ein allgemeinbildendes fach ist. was denn sonst? mir ist kein fach bekannt, das auch nur annähernd so umfassend bildung zu vermitteln in der lage ist wie latein. wie kann man in frage stellen, dass ein fach allgemeinbildend ist, welches nichts geringeres vermittelt als die grundlagen unserer europäischen kultur? :-o
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon voxromana » Mo 15. Jun 2009, 11:12

Ich sehe den Nutzen sehr subjektiv.

Der Effekt in der Gesellschaft sei dahingestellt, aber mich persönlich hat Latein sehr weitergebracht.
Diese Diskussion wird wohl nie ganz verstummen, sie wird Latein immer "angreifen", so wie sie auch Altgriechisch betrifft.
Aber es geht doch längst nicht mehr um das logische Denken, ich meine, trotz seines Systems ist und bleibt Latein eine Sprache und somit etwas Lebendiges. Ich sehe hier vielmehr die Erweiterung des Horizonts oder die Förderung der interkulturellen Kompetenz, wie es in den Lehrplänen so schön heißt.

Und solange auch nur ein Mensch auf dieser Welt Latein lernen will, wird diese Sprache weiter Bestand haben. Meine Angst ist nur, dass Latein bald trotz steigenden Schülerzahlen keinen Platz mehr in der Schule findet.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Laptop » Mo 15. Jun 2009, 12:20

Tiberis, dein Plädoyer klingt gut, aber sei doch mal konkret, du sprichst von ...

- Begabungsentfaltung
=> auf welche Begabung trifft das zu und wie?

... und ...

- freie, denkende, mündige und kritische bürger
=> wie kann ich mit Lateinkenntnissen so ein Bürger werden? Indem ich Fremdwörter besser verstehe, ja?

Ein mündiger, kritischer Bürger ist doch einer, der selbst beurteilen kann, was richtig ist, und sich nicht an der Nase herumführen lässt. Wobei dieses "Kann" vor allem von den Kenntnissen im jeweiligen Gebiet abhängt. Wenn ein Heizungsmonteur zu mir kommt, und ich von diesem Handwerk keine Ahnung habe kann ich schlecht beurteilen, ob er seine Sache richtig macht oder ob der Preis angemessen ist.

Insofern lerne ich durch Latein nichts über die wesentlichen Wissensgebiete die ein "mndiger Bürger" braucht, welche da wären: Juristerei, Wirtschaftrecht, Geopolitik, Medizin&Ernährung, Kommunikationspsychologie (Sprachpsychologie). Denn genauso wie der kleine Mann vom Arzt mit Fremdwörtern dummgehalten und bevormundet wird, genauso wird die große Masse mit _deutschen_ Schlagwörtern (d.h. es müssen also nicht einmal Fremdwörter sein!) gelenkt und emotional gesteuert: "Sicherheit", "Freiheit", "Terror". Einen kritischer Umgang mit Sprache wird durch Lateinkenntnisse allenfalls leicht angestoßen, aber keineswegs behandelt. Wie gesagt, ein mündiger Bürger braucht vorrangig andere Kenntnisse. Aber in einem gebe ich dir recht: Latein ist allemal nützlich in dieser Hinsicht als Religion, Sport, Musik, Ethik. Diese Fächer haben meiner Meinung nach in der Schule nichts zu suchen.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon voxromana » Mo 15. Jun 2009, 14:30

Einen kritischer Umgang mit Sprache wird durch Lateinkenntnisse allenfalls leicht angestoßen, aber keineswegs behandelt


Das sehe ich schon so. In keinem anderen Fach wurde ich so über sprachliche Manipulation aufgeklärt wie in Latein. Das geht von rhetorischen Stilmitteln und der kritischen Definition von Wörtern und deren genauer Bedeutung bis zur Auseinandersetzung von heutigen und früheren Reden, Texten und Publikationen.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon consus » Mo 15. Jun 2009, 14:44

Treffliche Worte, voxromana! Kompliment. :-D
Wie wahr sie sind, zeigt sich auch, wenn man sich einmal umgekehrt dazu aufrafft, ein beliebiges "statement" aus dem Munde irgendeiner sog. führenden Persönlichkeit in Staat und Gesellschaft ins Lateinische zu übersetzen. Es zeigt sich dann oft sehr schnell, was da wirklich Substanz hat.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Tiberis » Mo 15. Jun 2009, 15:21

Laptop hat geschrieben:- freie, denkende, mündige und kritische bürger
=> wie kann ich mit Lateinkenntnissen so ein Bürger werden? Indem ich Fremdwörter besser verstehe, ja?

das bessere verständnis von fremdwörtern ist nur ein kleiner teil dessen, was lateinunterricht zu leisten vermag. das geht von besserer beherrschung der muttersprache über bessere durchschaubarkeit sprachlicher manipulation bis zur kritischen reflexion vorgegebener texte. allein deshalb schon wäre latein unverzichtbar, es sei denn, diese fähigkeiten würden als belanglos erachtet. was aber das allerwichtigste ist: latein ist - neben mathematik - wohl das einzige fach, welches denken erfordert und fördert. hier reicht es eben nicht, irgendwelche phrasen auswendig zu lernen und sätze nachzuplappern, wie das im unterricht der sogenannten lebenden fremdsprachen geschieht, es reicht auch nicht, wie in den sogenannten lerngegenständen, bloß das wiederzukäuen, was der lehrer vorgetragen hat.
von der umfassenden bedeutung von latein als kulturfach ,das gleichsam der schlüssel zum verständnis der gesamten kulturhistorischen tradition europas ist, will ich erst gar nicht reden. diese funktion ist wohl unbestritten.
wenn man aber - dank latein - gelernt hat zu denken, wenn man - dank latein - in der lage ist, kritisch zu reflektieren und sich präzise auszudrücken : ist man dann nicht freier und autonomer in seinen entscheidungen ? wenn man sich - dank latein - der macht der wörter bewußt ist, wenn man - dank latein - besser in der lage ist, manipulationen als solche zu erkennen: wird man auf diese weise nicht zum mündigen bürger ?
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Pyrrha » Mo 15. Jun 2009, 16:40

Ein Großteil der Manipulationen, die wir täglich zu hören bekommen, beschäftigt sich auf die ein oder andere Weise mit Wissenschaften und fußt auf statistischen Aussagen, die nach Belieben hin und her gewendet, aus dem Zusammenhang gerissen und dem eigenen Ziel untertan gemacht werden. Nicht umsonst heißt es, man solle keiner Statistik trauen, die man nicht selber gefälscht habe. Um ganz konkret mündige Bürger heranzuziehen, würde ich der Statistik mehr Wert beimessen als dem Latein, und einige der kontraintuitiven Beispiele selber nachrechnen lassen.
Mich persönlich hat es sehr beeindruckt, als ich in einer wissenschaftshistorischen Veranstaltung vorgeführt bekam, wie und mit welchen Argumenten die Wissenschaftler in vergangenen Jahrhunderten die Überlegenheit der europäischen Rasse, insbesondere der mitteleuropäischen Spielart, zu beweisen, um damit die Kolonisation zu begründen. Seitdem bin ich sehr empfindlich gegenüber allem, was in der (Pseudo-)Wissenschaft irgend auf Superiorität wessen auch immer hindeutet. Verantworlicher Umgang mit Wissenschaft ist m.E. wesentlich, um kritisch fragen und urteilen zu können. Dazu gehört, dass man anhand eindringlicher Beispiele gezeigt bekommt, dass Wissenschaft manipuliert wurde und wird, und dass man sich klar macht, was Wissenschaft kann und will, z.B. und besonders im Gegensatz zu Religion.

Diese sind wohl die wesentlichsten Punkte, die auf "Mündigkeit" zielen, und sie kommen - zunächst einmal - ohne Latein aus.
Was das Denken betrifft, ich habe Lateinschüler kennen gelernt, die am Ende der Stunde nicht wussten, was inhaltlich in dem Caesartext drinstand, den sie gerade durchgenommen hatten. Im Lateinunterricht verschwimmt oft die Aussage vor der Form und Grammatik. Aber im Große und Ganzen stimme ich Tiberis hier zu. Das Wesentliche, wozu man Latein benötigt, meiner Ansicht nach, ist, um eine Art von kultureller Mündigkeit zu erlangen. Dazu kommt ein vertieftes allgemeines Sprachverständnis. Das ist zusammengenommen schon sehr viel, und ich habe immer Angst davor, wenn Vertreter bedrohter Fächer zu sehr ihre Wichtigkeit betonen wollen und dann zwangläufig anfangen zu übertreiben.


Consus, dein Argument, man solle doch mal "Statements" ins Lateinische übertragen, ist m.E. aus zwei Gründen nicht ganz schlüssig: Zunächst einmal, in welches Latein? Als Altphilologen schweben dir die Blüten lateinischer Wortkunst vor. Die 08/15-Reden und "Statements" werden auch damals anders ausgesehen haben. Das ist also keine 1:1 Korrespondenz. Wieviele wirklich "große" Reden pro Jahr kann es geben? Zweitens: Ich sehe keinen Grund, anzunehmen, dass es die Worthülsen, die es ja nicht nur im Deutschen, sondern in allen modernen Sprachen gibt, nicht auch damals schon gab. Natürlich waren die Themen, über die man sich unterhielt, andere, aber das Bedürfnis, das Volk über die Wahrheit im unklaren zu lassen, ist zeitlos. Und schon damals wurde dagegen gewettert, man denke nur an die berühmte Stelle bei Tacitus', wo er die hochgelobte Pax Romana als Umschreibung für rücksichtslose Unterdrückung entlarvt. Dass uns quantitativ nicht so viele leere Worte überliefert sind, wie wir heute täglich hören, liegt doch wohl zum Einen daran, dass uns nur ein kleiner Teil der Reden überliefert sind, und zwar sicherlich nicht die schlechten und austauschbaren, und zum Anderen kommt es daher, dass wir trotz aller Alten Geschichte und Klassischer Archäologie die Umstände, unter denen diese Reden gehalten wurden, nicht bis ins Einzelne kennen können. Sicherlich würde uns so Einiges in einem anderen Licht erscheinen.

Gruß, Pyrrha.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Zythophilus » Mo 15. Jun 2009, 17:10

Tiberis’ Ausführungen stimme ich zu. Welchen Nutzen ein junger Mensch aus seiner schulischen Karriere bezieht, wird er wahrscheinlich erst später feststellen. Während seiner Schulzeit geht es ihm wohl eher um einen Abschluss als um hehre Ziele wie Bildung.
Schulen, an denen in Österreich Latein unterrichtet wird, tragen den schönen Nahmen Allgemeinbildende Höhere Schulen; auch nicht mehr alle davon bieten Latein an. Der Name besagt schon, worum es gehen soll. Vieles, was dort unterrichtet wird, braucht gar nicht direkt einen Nutzen für einen späteren Beruf zu bringen. Auch bei Fächern, denen man diesen Nutzwert normalerweise zubilligt, kann es sein, dass sich nachher herausstellt, dass sie wenig Nutzen hatten. Fünf Jahre Französisch-Unterricht gehabt zu haben bringt relativ wenig, wenn man Spanisch für seinen Beruf braucht. Der Nutzen, sowohl im Deutschunterricht als auch in den verschiedenen Fremdsprachen über die jeweilige Literatur zu hören, ist für den späteren Beruf zumeist gering; wenn eine der Anforderungen für eine Stelle Englischkenntnisse sind, so wird der Personalchef nicht fragen, ob der Bewerber Shakespeare oder Mickey Mouse gelesen hat, solange sein Englisch ausreicht. Dennoch wird vermutlich keiner, der Englisch unterrichtet, zustimmen, wenn er hört, dass die Lektüre von Shakespeare sinnlos sei.
Geht man von diesem Aspekt der Allgemeinbildung aus, so passt Latein sehr gut hinein, wie Tiberis schon erklärt, auch wenn die wenigsten in ihrem späteren Beruf tatsächlich lateinische Texte vorgesetzt bekommen werden.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Merkur » Mo 15. Jun 2009, 23:40

Es mag ja sein, dass in der Felix Austria die Latein-Welt noch in Ordnung ist oder dass ich in erster Linie die Faex Discipulorum/-arum kennen gelernt habe, aber:
Meiner Ansicht nach wurde und wird der Nutzen des Lateinunterrichts durch die Reduzierung auf ein lächerliches Maß an Inhalt nach und nach dem Nützlichkeitsargument beraubt.

Was sind denn das, o di magni, für große Worte, die Schüler erlernten durch den Lateinunterricht "Manipulation zu durchschauen" o.ä.?
Der Durchschnittsschüler, so wie ich ihn kenne(ngelernt habe), versteht ja die Texte nicht einmal; was will er/sie da mit irgendwelcher Manipulation?

Wie es um das (jetzt v.a. rhetorische) Verständnis mancher Schülerlein bestellt ist, erhellt ja auch den Fragen hier im Forum. Was hat der von Rhetorik verstanden (was hat die Lehrkraft ihm darüber vermittelt), der in einem Absatz verzweifelt nach Alliterationen oder gar einem unaussprechlichen Homoeoteleuton sucht, weil er "Stilmittel" aufstöbern muss.


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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Tiberis » Di 16. Jun 2009, 00:24

Merkur hat geschrieben:Was sind denn das, o di magni, für große Worte, die Schüler erlernten durch den Lateinunterricht "Manipulation zu durchschauen" o.ä.?
Der Durchschnittsschüler, so wie ich ihn kenne(ngelernt habe), versteht ja die Texte nicht einmal; was will er/sie da mit irgendwelcher Manipulation?

da hast du natürlich recht , o Mercuri. leider. zwischen jenem , was der lateinunterricht bewirken KÖNNTE und dem, was er tatsächlich beim großen teil der schüler bewirkt, klafft eine riesige lücke.
aber die diskrepanz zwischen soll und haben nimmt auch in anderen fächern, wie ich höre, tendenziell zu. vielleicht wird sie gerade in latein als besonders schmerzhaft empfunden. aber die unbestreitbar triste lage, in der sich der lateinunterricht gegenwärtig befindet - manchen schülern scheint das denken unglaubliche schmerzen zu verursachen - , sollte uns nicht irre machen an dem, was lateinunterricht zu leisten in der lage ist und auch immer wieder leistet. wie in jedem anderen fach verstehen sich auch hier die bildungsinhalte als angebot: nur wer dieses angebot annimmt (und die entsprechenden voraussetzungen erfüllt), wird sich die o.g. fähigkeiten zu eigen machen können, genauso, wie ja auch die medizin nicht als nutzlos angesehen werden kann, bloß weil patienten die verordneten medikamente nicht einnehmen und demzufolge nicht geheilt werden.
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Zythophilus » Di 16. Jun 2009, 07:13

SALVE, Mercuri!
Das von dir beschriebene Phänomen gibt's wohl überall, regional unterschiedlich stark ausgeprägt.
Überall sitzen Schüler in Schulen, die mit möglichst geringem Aufwand nichts als ein Zeugnis wollen, aber die Schule sonst bestenfalls als Möglichkeit, mit Gleichaltrigen zu kommunizieren, betrachten. Das betrifft freilich alle anderen Fächer genau so, nur fällt es hier in diesem Forum eben speziell für Latein auf; auch dort, wo der direkte Nutzen für einen künftigen Beruf ziemlich klar sein sollte, sieht's nicht besser aus.
Vielleicht ist es ein gesellschaftliches Problem, dass Schule - mit oder ohne Latein - von vielen als Störung der Freizeit angesehen wird; oft hört man auch, sie müsse "Spaß" machen; muss sie das wirklich immer?
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Medicus domesticus » Di 16. Jun 2009, 09:05

Kurzes Statement zum Thema von einem "Nicht"-Philologen:
Die Situation, wie Merkur sie beschreibt, kenne ich auch aus meiner Schulzeit bis zum LK Latein. Es lag dann aber auch an nichtmotivierten Klassenkameraden und auch an nichtmotivierten Lehrern mit entsprechenden Unterrichtsstil. Wir hatten aber auch das Gegenteil. Gerade im LK Latein (wir waren 11 Leute) hatten wir einen sehr motivierten Lehrer (und natürlich auch wir Schüler :wink: ), eine gute Textauswahl von "Cena Trimalchionis" bis "De re publica" mit vielen interessanten Diskussionen, viel historischen Hintergrund, eine 1 wöchige hochinteressante Romfahrt.
Ich möchte damit sagen, dass ein interessanter Lateinunterricht und ob jemand auch für die Allgemeinbildung etwas davon hat, sehr stark von beiden Parteien Lehrer-Schüler abhängt.
Und jetzt zum Nutzen der Sprache Latein:
Natürlich gibt es nicht wenige, die Latein nur für ihre Note,Zeugnis oder Latinum sehen und sonst für nichts. Aber gilt dies nicht auch für die allgemeinbildenden und für die viel nützlicher gehaltenen Fächer Mathematik oder Physik? Was jeder für sich aus dem Lateinunterricht holt ist doch genauso individuell.
Mir hat Latein im Medizinstudium viel beim Lernen der Fachausdrücke gebracht, gerade in der Anatomie und für das Erlernen von romanischen Sprachen. Ich glaube auch, dass unser gelungener LK Latein damals mein Interesse für alte Geschichte, Latein und Griechisch bis heute als Hobby stark beeinflußt hat.
Also halten wir der Lateinischen Sprache weiter hoch, würde es sonst so ein interessantes Forum wie dieses geben?

bene et feliciter valete :)
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Re: Muß Latein nützen?

Beitragvon Pyrrha » Di 16. Jun 2009, 09:51

Wie viel Latein muss man können, damit es nützt?

Fakt ist doch, dass man die Sprache meistens nach vier Jahren, wenn man sich durch die Gramatik durchgebissen hat und gerade mit Müh und Not mit Caesar kämpft, abwählen kann - was hat man dann davon, außer einer Menge Arbeit?
Auch all die schönen Begründungen, mit denen die Lehrer versuchen, Schüler vo Wert des Latein zu überzeugen, sind bei genauerem Betrachten für sich genommen nicht stichhaltig:
Es ist weniger Aufwand, nur Spanisch zu lernen, als erst Latein, um dann Spanisch leichter lernen zu können. Wie viele Fremdsprachen muss man lernen, damit Latein unter diesem Aspekt wirlich nützt?
Man lernt besser Deutsch: Gut, ein bisschen, ich weiß nicht, ob das den Aufwand rechtfertigt, zumal da viele Schüler ohne Lateinkenntnisse das Deutsche auch sehr gut beherrschen. Für Fremdwörter gilt das gleiche wie für Fremdsprachen, es ist weniger Aufewand, sie für sich genommen zu lernen, als deswegen Latein zu lernen.
Man braucht Latein für viele Studienfächer. Das ist ein Argument, dem aber die gegenwärtigen Hochschulreformen entschieden gegensteuern.
Der persönliche Nutzen, den es interessierten Schülern bringen kann, ist schwer zu vermitteln. Aber auch hier muss eine gewisse kritische Masse vorhanden sein, damit man Gewinn daraus ziehen kann.
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