poemata dilecta

Für alle Fragen rund um Latein in der Schule und im Alltag

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Beitragvon Zythophilus » Mi 29. Aug 2007, 21:41

Kleine Korrektur: So wie die Strophe hier steht, kann sie nicht passen. Deswegen wurde sie wohl von der Bibliotheca Augustana ausgelassen. Ich sollte genauer schauen, wenn ich etwas schreibe. Wie dem auch sei, Strophe 1 & 2 verlangen nach einer Strophe 3 dieses Inhalts.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 16945
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Beitragvon Apollonios » Mi 29. Aug 2007, 21:50

Zythophilus hat geschrieben:Wie dem auch sei, Strophe 1 & 2 verlangen nach einer Strophe 3 dieses Inhalts.


Och - so Dinge wie unerfüllte Liebe sollen ja auch im Mittelalter schon vorgekommen sein… :sad: Aber warum kann diese 3. Strophe Deiner und der Augustana Meinung nach so nicht passen?
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Strophe 3

Beitragvon Zythophilus » Mi 29. Aug 2007, 22:10

Schau dir Strophe 3 an: Die 3. Zeile (et declinetur ad me) passt - vom Reim her gesehen - gar nicht - sie müsste vermutlich auf "declinatur" enden, die 4. will auch nicht viel Sinn ergeben.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 16945
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Beitragvon Apollonios » Mi 29. Aug 2007, 22:22

Stimmt. Vielen Dank.
(Hätt ich ja auch mal selber gucken können... :oops: )
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon Apollonios » So 2. Sep 2007, 19:34

Noch einmal Carmina Burana, zit. nach Bibliotheca Augustana, Carmina moralia et satirica, Nr. 24:

Iste mundus furibundus falsa prestat gaudia,
Quia fluunt et decurrunt ceu campi lilia.
Laus mundana, vita vana vera tollit premia,
Nam impellit et submergit animas in tartara.
Lex carnalis et mortalis valde transitoria
Fugit, transit velut umbra, que non est corporea.
Quod videmus vel tenemus in presenti patria,
Dimittemus et perdemus quasi quercus folia.
Fugiamus, contemnamus huius vite dulcia,
Ne perdamus in futuro pretiosa munera!
Conteramus, confringamus carnis desideria,
Ut cum iustis et electis in celesti gloria
Gratulari mereamur per eterna secula!
Amen.

Entgegen meiner Gewohnheit hier eine Nachdichtung mit Rücksicht auf das Reimschema. Andere mögen beurteilen, ob sie gelungen ist.

falsche freuden zu vergeuden lockt uns eine wilde welt,
sich ergießend, bald verfließend wie die lilie auf dem feld.
weltlichs streben, eitles leben stiehlt uns nur den wahren lohn
und macht sinken und ertrinken seelen vor dem höllenthron.
was verderblich, was nur sterblich unterliegt vergänglichkeit,
allzu flüchtig, schatten, nichtig, ohne jede festigkeit.
was wir schauen, darauf bauen wir im heim der gegenwart,
wollens fassen, müssens lassen - eichenlaub in windes fahrt.
laßt uns meiden, laßt uns scheiden von des lebens süßigkeit,
daß uns bleibe, nichts vertreibe jener gaben kostbarkeit!
laßt uns töten und zertreten unsers fleisches geile gier,
daß im sterben wir erwerben wie die heilgen himmels zier.
herr, gewähre uns die ehre ewiglich zu stehn vor dir!
Amen.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon Apollonios » Mi 5. Sep 2007, 18:36

Nach diesem Abstecher in die mir so nahen düsteren Gefilde wieder was Netteres aus den Carmina Burana (Carmina amatoria Nr. 90, zit.n. Bibliotheca Augustana):

Exiit diluculo
rustica puella
cum grege, cum baculo,
cum lana novella.

Sunt in grege parvulo
ovis et asella,
vitula cum vitulo,
caper et capella.

Conspexit in cespite
scolarem sedere:
«quid tu facis, domine?
veni mecum ludere!»

in mein geliebtes Deutsch übersetzt:

kaum es tagt
ging die bauernmagd
mit der herde mit dem stab
mit der neuen wolle.

herde klein
lamm und eselein
auch zwei kälbchen und dazu
ziegenbock und ziege.

schau, da saß
ein scholar im gras.
"herr was tust du hier?", sprach sie,
"komm mit mir zu spielen."
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon Apollonios » Mi 19. Dez 2007, 07:30

Carmen IV des Archipoeta ist offenbar eine Antwort auf Rainald von Dassels Auftrag an seinen protégé, ein Gedicht über den zweiten Italienfeldzug Kaiser Friedrichs zu schreiben. Statt eines großartigen Siegesliedes bekam der Archicancellarius einen kunstvollen Bettelbrief, den ich im Auszug (Gesamtlänge: 33 Strophen!) samt Übertragung zitiere.

Archicancellarie, vir discrete mentis,
cuius cor non agitur levitatis ventis
aut morem transgreditur viri sapientis,
non est in me forsitan id, quod de me sentis.

tuus in perpetuum servus et poeta
ibo, si praeceperis, etiam trans freta,
et, quodcumque iusseris, scribam mente laeta,
sed angusti temporis me coartat meta.

vis, ut infra circulum parvae septimanae
bella scribam fortia breviter et nane,
quae vix in quinquennio scriberes, Lucane,
vel tu, vatum maxime, Maro Mantuane.

vir virorum optime, parce tuo vati,
qui se totum subicit tuae voluntati;
precor, cum non audeam onus tantum pati,
ut rigorem temperes ardui mandati.

ieiunant et abstinent poetarum chori,
vitant rixas publicas et tumultus fori
et, ut opus faciant, quod non possint mori,
moriuntur studio subditi labori.

mihi numquam spiritus poetriæ datur,
nisi prius fuerit venter bene satur;
dum in arca cerebri Bacchus dominatur,
in me Phoebus irruit et miranda fatur.

poeta pauperior omnibus poetis
nihil prorsus habeo, nisi quod videtis;
unde saepe lugeo, quando vos ridetis;
nec me meo vitio pauperem putetis.

fodere non debeo, quia sum scholaris,
ortus ex militibus proeliandi gnaris;
sed quia me terruit labor militaris,
malui Virgilium sequi quam te, Paris.

mendicare pudor est, mendicare nolo,
fures multa possident, sed non absque dolo.
quid ergo iam faciam, qui nec agros colo,
nec mendicus fieri nec fur esse volo?

pereat hypocrisis omnium parcorum!
scimus, quod avarus est cultor idolorum.
commendetur largitas praesulum largorum;
electus Coloniae primus est eorum.

unde fit, ut aliquid petere praesumam:
nudus ego, metuens frigus atque brumam,
qui vellus non habeo nec in lecto plumam;
tam libenter mihi det, quam libenter sumam.

Archicancellarie, spes es mea solus;
in te non est macula, non est in te dolus.
longa tibi tempora det fatalis colus,
cuius illustrabitur claritate polus.

secundum quod habeo, tribuo libenter
neque panem comedo solus et latenter,
et non sum, qui curias intrem imprudenter,
sicut illi faciunt, quorum deus venter.

Archicancellarie, spes et vita mea,
in quo mens est Nestoris et vox Ulixea,
Christus tibi tribuat annos et trophaea
et nobis facundiam, ut scribamus ea.

---

hoher kanzler, edler mann und verschwiegener,
dessen herz die winde nicht wankelmütig treiben
der auch niemals übergeht weisen mannes sitte -
leider ist in mir nicht das, was du von mir glaubest.

ewig bin dein eigen ich als dein knecht und dichter,
fliege, wenn du es begehrst, auch durch meeres brandung,
was auch immer du befiehlst, schreib ich heitern sinnes -
doch beengt mich knapper frist allzu enge grenze.

du begehrst, daß ich im kreis einer kleinen woche
herrliches und kräftiges schreibe, kurz und bündig,
was doch in fünf jahren kaum Lukan hat geschrieben,
noch Maro aus Mantua, größter aller sänger.

aller männer bester du, schone deinen sänger,
der sich völlig unterwirft deinem wunsch und willen;
da so große bürde ich nicht zu tragen wage,
bitt ich, dieses schwierigen auftrags ernst zu mildern.

fasten und enthaltsamkeit übt der chor der dichter,
meidet öffentlichen streit und den lärm des marktes,
und damit ein werk gelingt, das unsterblich mache,
stirbt der mühsal untertan an dem arbeitseifer.

niemals wird der dichtkunst geist mir gegeben werden,
wenn der bauch ist nicht zuerst gut gesättigt worden;
allsolange Bacchus herrscht in des hirnes kuppel,
stürzt auch Phöbus auf mich ein und spricht wunderbares.

dichter bin ich, ärmer denn alle andern dichter,
habe durchaus nichts als das, was euch steht vor augen;
daher klage ich so oft, wenn ihr habt zu lachen -
glaubt nur nicht, daß eigne schuld ließ mich so verarmen.

nicht soll ich das feld bestelln, weil ich ein scholar bin,
meine vorfahrn sind der schlacht kundige soldaten,
aber weil soldatische mühe mich verschreckte,
wollt ich lieber dem Virgil folgen als dem Paris.

bettelei ist eine schmach, niemals will ich betteln,
diebe haben mancherlei, doch nicht ohne arglist.
was soll ich denn tun, da ich nicht das feld bestelle,
weder bettler werden will noch als dieb will leben?

aller knauser heuchelei möge nun verschwinden!
habgier ist ein götzendienst, wie wir alle wissen.
rühmlich ist der edelmut hochgesinnter priester;
erster unter diesen ist kölns erwählter bischof.

daher will ich etwas schon im voraus erbitten:
nackt bin ich und fürchte mich vor des winters kälte,
habe weder wollen tuch noch im bette federn;
gebe er mir doch so gern, wie ich gerne nehme.

hoher kanzler, du allein bist mein einzig hoffen;
keine arglist wohnt in dir, in dir wohnt kein makel.
lange zeit gewähre dir deines schicksals faden,
und der himmel strahle dir einst in hellem lichte.

nach dem maße, wie ich hab, gebe ich auch gerne,
und ich esse nicht mein brot einsam und verborgen,
in paläste will ich nicht unverständig treten,
wie es jene leute tun, deren gott der bauch ist.

hoher kanzler, hoffnung mein bist du und mein leben,
in dem der Nestors geist sich eint mit Odysseus stimme,
Christus leih dir siegesruhm und ein langes leben
und uns die beredsamkeit, daß wir davon schreiben.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

pervigilium Veneris

Beitragvon Apollonios » Di 4. Mär 2008, 23:24

Hier steht das entzückende Original:
http://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chron ... _text.html
Hier eine nicht weniger entzückende Nachdichtung der englischen Barockzeit:
http://www.gutenberg.org/files/12511/12 ... tm#bw332s2

Und hier mein Versuch einer Übersetzung:


Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!

Neuer Lenz, ein Lenz der Lieder, lenzgeboren ist die Welt!
Liebe ist im Lenz einmütig, Vögel gatten sich im Lenz,
und der Hain löst seine Locken, wenn ihn Regenschauer freit.
Morgen in dem Baumesschatten wird der Liebe Stifterin
grünende Gehäuse flechten aus Gezweig vom Myrtenstrauch,
auf dem Throne hoch erhoben spricht Dione morgen Recht.

Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!

Einst, als aus dem Himmel schäumend niederging ein Schwall von Blut,
schuf der Ozean Dione, die inmitten blauer Schar-------------------------------------------10
zwischen den zweifüßgen Rossen aus des Meeres Fluten wallt.

Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!

Selbst malt sie wie Edelsteine Blumen in der prächtgen Zeit,
wo sich Knospen vor dem Hauche Zephirs heben, drängt sie selbst
sie zu heißen Knoten; sie versprengt die feuchten Tropfen selbst,
die der Hauch der Nacht vom klaren Tau zurückgelassen hat.
Zitternd quellen Tränen, fallen unter ihrer eignen Last;
stürzend noch als kleine Kugel hemmt der Tropfen seinen Fall.

Sieh, die jungen Purpurblüten legten ihre Scheu nun ab.
Jene Feuchte, die von Sternen in den heitren Nächten taut,------------------------------20
löst die jungfräulichen Knospen früh aus feuchtem Festgewand.
Heiraten heißt Venus nasse Rosenmädchen in der Früh,
die gemacht sind aus der Cypris Blut und aus des Amors Kuss,
und aus Edelstein und Flammen und der Sonne Purpurglanz.
Die nach einzigem Gelübde Angetraute scheut sich nicht,
morgen jenes Rot zu zeigen, das im Feuerkleid sich barg.

Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!

Ihre Nymphen hieß die Göttin, in den Myrtenhain zu gehn:
Als ein Freund der Mädchen geht ihr Sohn - doch glauben soll man nicht,
daß den Urlaub nahm Gott Amor, wenn er Pfeile mit sich führt!------------------------------30
Nymphen, geht, Amor nahm Urlaub, hat die Waffen abgelegt!
Unbewaffnet muß er gehen, geht, wie ihm befohlen, nackt,
daß er nicht mit Pfeil noch Bogen, noch mit Feuer Schaden tut.
Hütet dennoch euch, ihr Nymphen, da doch schön ist Cupido;
voll bewaffnet oder nackend Amor ist derselbe noch.

Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!

Venus schickt zu dir die Mädchen, ebenbürtig dir an Scheu.
Eines nur erbitten wir: gestatte, Jungfrau Artemis,
daß der Hain nicht blutig liege von dem hingemähten Wild,
daß in seine grünen Schatten er die Blütenfülle zieht.------------------------------40
Sie will selbst dich fragen, ob sie dich, die Scheue, doch bezwang,
Sie will selbst, daß du dazukommst, wenn sichs für die Jungfrau schickt.
In drei Nächten schon magst sehen du der Feier Reigentanz,
magst zur gleichen Schar gehören, die durch deine Schluchten zieht,
zwischen Blütenkränzen, zwischen Hütten aus dem Myrtenlaub.
Ceres fehlt nicht und nicht Bacchus, auch der Gott der Dichter nicht.
Mit Gesängen sei die ganze Nacht durchwacht und ausgefüllt;
Venus herrsche in den Wäldern, Artemis, du weiche fort!

Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!

Daß ihr Thron in Hyblas Blumen steht, befahl die Göttin selbst,------------------------------50
sie als Hüterin wird richten, Grazien sitzen neben ihr.
Hybla, streue alle Blumen, die dir bringt die Jahreszeit;
Hybla, leg dein Kleid mit Blumen an, so weit wie Ætnas Feld.
Mädchen von dem Lande werden kommen, von den Quellen auch,
und die in den Wäldern wohnen, in den Hainen, im Gebirg:
allen weist des Flügelknaben Mutter neben sich den Platz,
und sie heißt die Mädchen auch, dem nackten Amor nicht zu traun.

Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!

Morgen ist der Tag, da Æther einst sich hochzeitlich verband,
daß der Vater schuf die ganze Jahreszeit durch Lenzgewölk,------------------------------60
und der Regen in der holden Gattin Busen bräutlich floß,
sich dem großen Leib vermischte, daß sie alle Früchte nährt.
Sie, die Schöpferin, sie steuert mit dem stets bewegten Geist
durch die tief verborgnen Kräfte alles Wesen, allen Sinn,
und durch Himmel und durch Erde und darunter liegend Meer
schreitet frei sie, und die Pfade füllt sie mit der Saaten Flut,
und befiehlt der Welt, die Wege des Gebärens zu verstehn.

Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!

Selbst hat sie die Kinder Trojas ins Latinsche Land geführt,
selbst gab ein Laurentisch Mädchen sie zur Gattin ihrem Sohn,------------------------------70
aus dem Tempel eine reine Jungfrau gibt sie bald dem Mars,
gab dem Romulus zur Ehe die Sabinerinnen, schuf
Ramnes so und die Quiriten, Cæsars spätren Vater und
seinen Sohn hat sie geschaffen für des Romulus Geblüt.

Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!

Lust befruchtet alle Erde, alle Erde Venus spürt;
von der Erde soll auch stammen Amor selbst, Diones Kind.
Denn sie nahm an ihren Busen selbst ihn, als das Feld gekreißt,
Selbst hat sie mit ihrer Blumen zarten Küssen ihn genährt.

Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!------------------------------80

Sieh, schon lagern ihre Leiber Stiere unterm Ginster hin,
jeder wird in guter Hut gehalten durch den Liebesbund,
sieh die Schafe dort im Schatten mit den Widdern lagern auch.
Und es mahnt die Göttin, daß nicht schweigt der Vögel Sängervolk:
Der geschwätzgen Schwäne rauhe Stimme lärmt schon auf dem Teich,
und im Schatten einer Pappel hörst des Tereus Mädchen du,
glaubst, von Leidenschaft der Liebe spreche eines Sängers Mund,
und du leugnest, daß die Schwester ob des wilden Gatten klagt.
Jene singt, wir aber schweigen. Wann kommt meine Frühlingszeit?
Wann werd ich wie eine Schwalbe, daß ich nicht mehr schweigen muß?------------------------------90
Durch mein Schweigen floh die Muse, Phœbus blickt mich nicht mehr an.
Da Amyclæ stillgeschwiegen, war sein Schweigen auch sein Tod.

Morgen liebe, wer nie liebte, liebe auch, wer je geliebt!
Zuletzt geändert von Apollonios am Mi 5. Mär 2008, 12:09, insgesamt 1-mal geändert.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon consus » Mi 5. Mär 2008, 10:14

Code: Alles auswählen
Quam nos mirifico mulsisti carmine, vates!
 Tempus adest veris: frigida fugit hiems.

:-D
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Beitragvon Apollonios » Mi 5. Mär 2008, 12:10

Danke für dies schöne Lob! Vs. 41 habe ich gerade mit leichtem Erröten noch mal überarbeitet wegen metrischer Ungenauigkeit.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon Apollonios » Mi 12. Mär 2008, 22:34

Vorhin wurde mir auf einem anderen Forum Ode 1,23 von Horaz vorgestellt. Mein Ehrgeiz konnte nicht widerstehen; ich weiß allerdings diesmal nicht, ob die Übertragung etwas taugt. Wieder einmal habe ich ein vom Original verschiedenes Versmaß gewählt.

Vitas inuleo me similis, Chloe,
quaerenti pavidam montibus aviis
matrem non sine vano
aurarum et silvae metu.
Nam seu mobilibus veris inhorruit
adventus folliis, seu virides rubum
dimovere lacertae,
et corde et genibus tremit.
Atqui non ego te, tigris ut aspera
Gaetulusve leo, frangere persequor:
tandem desine matrem
tempestiva sequi viro.

---

Chloe, meidest wie ein kitz mich,
das auf abgelegnen bergen
sucht nach seiner bangen mutter
grundlos fürchtend waldes lüfte
wenn durchbebt die schwanken blätter
frühlings ankunft, oder grüne
echse huscht durch brombeersträucher -
und ihm zittern herz und knie.
jag ich dich doch nicht zu reißen,
wie der gaetulische löwe
oder wie der wilde tiger:
laß doch endlich deine mutter,
reif bist du, dem mann zu folgen.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon Apollonios » Do 18. Sep 2008, 12:38

Von Hildegard von Bingen - gestern war ihr Gedenktag - stammt das Folgende:

Caritas abundat in omnia,
de imis excellentissima
super sidera,
atque amantissima in omnia,
quia summo Regi
osculum pacis dedit.

meine Nachdichtung:

Liebe überflutet alles
von den ungemessnen Tiefen
bis hin über alle Sterne.
Größte Liebende, umfängt sie
alles, da dem höchsten König
sie den Friedenskuß gegeben.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon Apollonios » Mo 13. Okt 2008, 12:11

Zur Diskussion stellen möchte ich meine Übertragung von Cat. CI. Wie schon öfter, habe ich ein anderes Versmaß gewählt.

multas per gentes et multa per æquora vectus
advenio has miseras, frater, ad inferias,
ut te postremo donarem munere mortis
et mutam nequiquam alloquerer cinerem,
quandoquidem fortuna mihi tete abstulit ipsum,
heu miser indigne frater adempte mihi.
nunc tamen interea haec, prisco quae more parentum
tradita sunt tristi munere ad inferias,
accipe fraterno multum manantia fletu,
atque in perpetuum, frater, ave atque vale!

---

Viel Länder, viel Meere durchzog ich,
zum bitteren Totenopfer,
mein Bruder, zu kommen,
bring dir die letzte der Ehren,
und grüße die Asche, die stumme,
vergeblich! Das Schicksal
hat dich, armer Bruder, genommen -
ach, grausam bist du mir entrissen!
Was uralte Sitte
der Väter gebietet zu weihen
im traurigen Totenopfer,
nimm an - was die Tränen
des Bruders so reichlich begossen.
Leb wohl, mein Bruder, auf ewig.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon consus » Mo 13. Okt 2008, 13:09

Salve, Apolloni. Salvete, amici.
Solche Verse voller Wehmut, wie sie uns hier in Catull 101 begegnen, halbwegs angemessen wiederzugeben, erfordert ein hohes Maß von Einfühlungsvermögen. Das beweist Apollonius' Übersetzung, nur muss man sich auf den vom Versmaß des Originals doch sehr abweichenden Rhythmus ganz einlassen. Zum Vergleich das erste Distichon in Otto Weinreichs Wiedergabe:
Code: Alles auswählen
Vieler Völker Lande durchfuhr ich, viele der Meere,
 und nun stehe ich hier, Bruder am traurigen Grab.
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Re: poemata dilecta

Beitragvon Apollonios » So 1. Feb 2009, 17:20

Nach langer Pause wieder etwas vom Archipoeta, hier in der etwas gewöhnungsbedürftigen, aber hinsichtlich der veränderten Aussprache aufschlußreichen mittelalterlichen Orthographie:

Carmen I (Langosch)

Omnia tempus habent, et ego breve postulo tempus,
Ut possim paucos presens tibi reddere versus,
Electo sacro, presens in tegmine macro;
Virgineo more non hec loquor absque rubore.

Vive, vir inmense! Tibi concedit regimen se,
Consilio cuius regitur validaque manu ius;
Pontificum flos es et maximus inter eos es.
Incolumis vivas, plus Nestore consilii vas!

Vir pie, vir iuste, precor, ut moveam precibus te,
Vir racione vigens, dat honorem tota tibi gens;
Amplecti minimos magni solet esse viri mos:
Cor miseris flecte, quoniam probitas decet hec te!

Pauperie plenos solita pietate fove nos
Et Transmontanos, vir Transmontane, iuva nos!
Nulla michi certe de vita spes nisi per te.

Frigore sive fame tolletur spiritus a me,
Asperitas brume necat horriferumque gelu me,
Continuam tussim pacior, tanquam tisicus sim,
Sencio per pulsum, quod non a morte procul sum.

Esse probant inopes nos corpore cum reliquo pes;
Unde verecundo vultu tibi verba precum do,
In tali veste non sto sine fronte penes te:
Liber ab interitu sis et memor esto mei tu!

Hier meine Verdeutschung:

Jegliches hat seine Zeit – der Zeit erbitt ich ein wenig,
einige meiner Verse dir vortragen zu können,
dir, dem würdgen Erwählten! In meinem schäbigen Kleide
sprech ich nicht ohne Erröten gleich einem jungen Mädchen.

Lebe, gewaltiger Herr! dem die Herrschaft sich hat überlassen -
mit deinem Rat und mit starker Hand lenkst du die Gesetze.
Aller Bischöfe Blüte bist du und größter von allen!
Unversehrt lebe, du Bürge der Klugheit, größer als Nestor.

Gütiger Herr und gerechter, laß dich durch mein Flehen bewegen,
Herr voller Geisteskraft, dem alle Welt gibt die Ehre.
Großen Herren ist ziemlich, die Geringsten zu lieben!
Neige dein Herz den Armen, wie's deiner Redlichkeit ansteht.

Uns, die in Not sind, stütze nach der gewohnten Milde,
Herr aus dem Lande des Nordens, hilf uns, die auch aus dem Norden!
Sicher hab ich im Leben nur durch dich eine Hoffnung.

Schon wird durch Frost und durch Hunger aller Schwung mir genommen,
Winters Strenge tötet mich und die schaurige Kälte,
ständig leide ich Husten, gleich als hätt ich die Schwindsucht,
an meinem Pulse fühl ich, daß ich dem Tode nicht fern bin.

Daß wir arm sind, weisen wie der Leib auch die Füße,
und nur mit schüchternem Blicke trag ich dir vor meine Bitten,
stehe vor dir in diesem Zeuge nicht ohne Zagen:
Sei von Mißgeschick frei, und bleibe eingedenk meiner!
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

VorherigeNächste

Zurück zu Lateinforum



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 42 Gäste