poemata dilecta

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Beitragvon Tiberis » Di 17. Jul 2007, 23:43

salve, o Apolloni ! :)

als freund und bewunderer der horazischen sprach- und dichtkunst sage ich dir: deine übersetzung ist nicht übel ! vor allem die ersten verse sind sehr gut gelungen: hier ist nämlich auch der sprachrhythmus gut dem originalversmaß (asklepiadeus maior) nachempfunden !
ein wenig problematisch finde ich nur diese 3 zeilen:
der das ihm preisgegebne Geklüft
schon des Thyrrenischen Meeres verstümmelt:
Weise sei! Fließen lasse den Wein,

(hiems...debilitat mare > der winter "schwächt" das meer : gemeint ist: die stürme des winters lassen die meeresfluten immer wieder an den "oppositis pumicibus" anbranden - in wirklichkeit schwächt das naturgemäß die felsen, nicht aber das meer.
vinum liquare = den wein klären (durchseihen) > im übertragenen sinn: geduld haben, abwarten )

optime vale! :)
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Beitragvon Apollonios » Mi 18. Jul 2007, 01:10

Vielen Dank für den Hinweis. Die verbesserte Fassung ist editiert. Natürlich hat diese Änderung aus Gründen des Metrums weitere Änderungen nach sich gezogen - aber ich glaube, so ist es jetzt annehmbar.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
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Hor. carm. 1, 11.

Beitragvon consus » Do 19. Jul 2007, 10:02

Es ist vielleicht interessant, amici carissimi, Apollonios’ Übersetzung von Hor. carm. 1, 11 mit der Wiedergabe aus der Feder des uns Philologen so bekannten Hermann Menge zu vergleichen:

Einer Freundin
Lass dein Grübeln! Es wird dir nie enthüllt, was für ein Ende Gott
dir bestimmte und mir. Ziehe darum nicht babylonische
Rechenkünste zu Rat. Besser, du beugst unter die Schickung dich,
ob uns Juppiter mehr Winter noch schenkt, ob es der letzte ist,
der das tuskische Meer jetzt an des Strands Klippen sich brechen lässt.
Sei kein Närrchen, mein Kind! Kläre den Wein! Hoffe zu Fernes nicht;
denn dein Leben ist kurz. Eh’ du gedacht, eilet im Flug die Zeit
neidisch weiter; darum greife den Tag: traue dem „morgen“ nicht!

Quelle:
Die Oden und Epoden des Horaz für Freunde klassischer Bildung, besonders für die Primaner unserer Gymnasien bearbeitet von Dr. Hermann Menge, Kgl. Gymnasialdirektor a. D. Vierte, durch erklärende Anmerkungen vermehrte Auflage, Berlin-Schöneberg 1910, S. 53.
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Beitragvon Apollonios » Do 19. Jul 2007, 21:55

amici sagacissimi,

bei allem Respekt vor Menge, aber da fallen mir gleich zwei Dinge unangenehm auf:
... denn dein Leben ist kurz.
Genau das behauptet Horaz nicht zu wissen. Es könnte kurz sein - oder auch lang, das weiß eben keiner: sagt Horaz nicht gerade dies?

Sei kein Närrchen, mein Kind!
Dies empfinde ich als, pardon, Kitsch. Der Ausdruck impliziert, daß die Freundin ein kleines Dummchen ist. Horaz aber sagt sapias - und traut ihr damit zu, klug, besonnen, weise zu sein.

Übrigens, Tiberis, verstehe ich die Aufforderung "Kläre den Wein" durchaus nicht als Aufruf zu Geduld, sondern im Gegenteil als Aufforderung, "das Angenehme dieser Welt" jetzt sofort zu genießen.
Ich hoffe mal, amici carissimi, Ihr nehmt meine Nörgelei gnädig auf. :smile:
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Beitragvon consus » Do 19. Jul 2007, 23:04

Es steht nirgendwo geschrieben, optima, dass ein Philologe ein guter (Nach-)Dichter sein muss. Die Übersetzung sollte zum Vergleich und zur Kritik herausfordern...
Vale quam optime!
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Beitragvon Tiberis » Fr 20. Jul 2007, 02:26

salve, Apolloni !

was die formulierung "sei kein närrchen, mein kind" betrifft, gebe ich dir recht (zumindest teilweise) : eine derartige ausdrucksweise wirkt heute befremdend. aber bedenke bitte, die übersetzung stammt aus dem jahre 1910 -möglicherweise hat man das damals anders empfunden.
und die aufforderung "sapias" (sei gescheit/ vernünftig/ weise oder wie auch immer) - da stimme ich mit dir überein - richtet sich sicher nicht an ein "dummchen" (zumal Leukonoe soviel bedeutet wie " die mit dem hellen verstand"), wohl aber an eine person, die von ihrem verstand nicht immer rechten gebrauch gemacht zu haben scheint.

sapias ! vina liques et spatio brevi
spem longam reseces! Dum loquimur, fugerit invida
aetas: carpe diem, quam minimum credula postero !

zu vina liques:
hier kann ich dir nicht folgen. "kläre den wein" soll bedeuten "das angenehme dieser welt sofort zu genießen" ?meine kenntnisse von der winzerei sind zwar äußerst bescheiden, aber ist nicht unter "klärung" der prozess der filtrierung zu verstehen? oder überhaupt die zeit des abwartens, bis die trübe gewichen ist? in jedem fall dauert das seine zeit, d.h. geduld und abwarten sind angesagt.
es geht ja darum, dass Leukonoe jetzt gleich und sofort alles über ihr weiteres schicksal (mittels astrologie) herausfinden will. folgerichtig sagt Horaz: warte doch ab (wie die dinge sich für dich entwickeln), habe geduld ( im sinne von: wolle nicht jetzt schon wissen, was dich später einmal betrifft).
zum horazischen leitmotiv des (sofortigen) lebensgenusses (carpe diem) steht dies ja nicht im widerspruch.

quam iucundissimam tibi exopto noctem!
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Beitragvon Apollonios » Fr 20. Jul 2007, 07:55

salve Tiberis,

danke für diese Interpretation von vina liques - das ist einleuchtend. Ich hatte diese Worte mit dem carpe diem im Zusammenhang gesehen und so interpretiert, daß Leukonoe sich um die schönen Seiten des Lebens mehr bekümmern soll als um eine ungewisse Zukunft. Aber Deine Interpretation leuchtet noch mehr ein - ich war da etwas betriebsblind.
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Beitragvon Sokrates Palaios » Fr 20. Jul 2007, 22:02

Salvete, Apolloni, Conse, Tiberi!
Neulich traf ich einen alten Freund und bei einer passenden Gelegenheit sagte ich "tu ne quaesieris...", und wir hatten einen Spaß, dass wir zusammen das ganze Gedicht auswendig rekonstruieren konnten. Es ist es wert auswendig gelernt zu werden!
Zu VINA LIQUES:
In einem alten Kommentar lese ich, dass das LIQUERE direkt beim Mahl erfolgte, weil vielleicht ein LIQUATORIUM, ein Seihgefäß, auf dem Tisch stand.
Vielleicht hat Apollonios doch Recht. Ich meine auch, dass VINA LIQUES schon hinweist auf CARPE DIEM (lass den Tag nicht ungenutzt). Außerdem folgt im nächsten Vers DUM LOQUIMUR, FUGERIT... Auf Schwäbisch: Lass des Gschwätz, mer händ net viel Zeit! Und die "mit dem hellen Verstand" schweigt und geht mit dem Dichter über zum CARPERE...
Valete!
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Beitragvon Tiberis » Fr 20. Jul 2007, 22:35

salve, Socrates !

wenn Horaz mit dem "vina liques" zum sofortigen genuß auffordern hätte wollen, wäre diese metapher wohl nicht passend, weil einfach zu mißverständlich, egal ob jetzt ein "liquatorium" auf dem tisch (?) stand oder nicht.
ich meine, das "klären" des weines korrespondiert recht auffallend mit dem klären der zukunft: wir wissen nicht, wie sie sich gestalten wird, d.h., wir können kein klares bild von ihr haben , auch wenn wir es (wie Leukonoe) mit diversen tricks, wie z.b. astrologie, versuchen mögen. wir müssen eben abwarten, genauso wie beim vorgang des wein- klärens.
übrigens zeigen die drei "wein-metaphern" recht schön die gedankliche überleitung von der zukunft in die gegenwart:
a) vina liques > kläre den wein = lass die dinge auf dich zukommen, warte einfach ab
b) spem longam reseces > stutze/schneide (!) die lange(=in die zukunft gerichtete) erwartung zurück = beziehe die fernere zukunft nicht in deine pläne, hoffnungen usw. ein
c) carpe diem > pflücke (!) den tag = genieße das hier und jetzt

bene valete!
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Beitragvon Apollonios » Mo 27. Aug 2007, 22:08

Etwas weniger Bekanntes aus den Carmina Burana (Nr. 160):

Dum estas inchoatur
ameno tempore
Phebusque dominatur
depulso frigore,

Unius in amore
puelle vulneror,
multimodo dolore
per quem et atteror.

zu Deutsch:

Es kommt der Sommer,
die liebliche Zeit,
da König Phöbus
den Frost entthront.

Die Liebe zu Einer
verwundet mich,
durch tausend Schmerzen
bin ich zermürbt.
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Beitragvon Zythophilus » Mo 27. Aug 2007, 22:54

Der Sommer ist gekommen,
gar lieblich ist die Zeit,
den Thron Apoll erklommen,
die Kälte ist schon weit.

Die eine aus den Maiden
die lieb' ich, ach, so sehr.
Muss tausendfach nun leiden,
derweil ich mich verzehr.
Zythophilus
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Beitragvon Apollonios » Di 28. Aug 2007, 13:24

Apollonios Zythophilo suo.

mich fasziniert es immer wieder, wie verschieden Übersetzungen klingen können.
Ich habe eine gewisse Scheu, bei einer Übersetzung einfach in eine andere Epoche meiner Muttersprache "umzusteigen", und versuche deshalb immer, im wesentlichen der heutigen Sprache treu zu bleiben. Das macht eine Übersetzung nicht viel einfacher, gerade wenn es um so Volksliedhaftes geht wie hier.
Deine Übertragung trifft den Sprachduktus viel besser als meine - schön, hier zwei so verschiedene Versionen, jede mit ihrer Berechtigung und Verteidigungsmöglichkeit, nebeneinander zu sehen.

sit tibi semper bene.
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Beitragvon Zythophilus » Mi 29. Aug 2007, 18:52

MARTINVS ZYTHOPHILVS APOLLONIO
Du hast den Text übersetzt, mi Apolloni, ich das Gedicht. Sieh das bitte nicht als Wertung.
Der iambische Rhythmus dieses ma. Stücks in akzuentierender Metrik lässt sich im Deutschen viel besser wiedergeben als klass. Dichtung.
CB 160 ist ist, wenn man so will, ein Genre-Gedicht: Sommer = Liebe. Das haben Menschen zu aller Zeit empfunden und besungen. In Strophe 2 ist diese Liebe noch unglücklich, in Strophe 3 bittet der Dichter, sie möge ihn erhören.
Der Aufbau ist klar: Strophe 1: Es ist Sommer
Strophe 2: Ich bin (unglücklich) verliebt
Strophe 3: Sie soll mich erhören.
Code: Alles auswählen
Ut mei misereatur,
ut me recipiat,
et declinetur ad me,
et ita desinat!


So enfach. Und doch so kompliziert.

VALE
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Beitragvon Apollonios » Mi 29. Aug 2007, 21:20

Salve Zythophile,

wo steht denn die Strophe 3? Ich hatte das Gedicht in der Bibliotheca Augustana gefunden - und da wird diese Strophe nicht angeführt - schade, sie ist hübsch. :)
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3. Strophe

Beitragvon Zythophilus » Mi 29. Aug 2007, 21:38

Du findest sie z.B. auf http://www.thelatinlibrary.com/dumestas.html. Ich denke, dass sie zum Grundbestand dieses Liedes gehört, den ersten beiden Strophen fehlt etwas ohne sie.
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