Felix esse mori

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Felix esse mori

Beitragvon SursumDeorsum » Mo 14. Apr 2014, 16:59

Salvete!

In den Lucanscholien (Adnotationes) steht zu Luc. 4, 520 Folgendes:

FELIX ESSE secundum Graecam elocutionem dixit, ut est 'donat habere viro' (=Aen. 5, 262).

Dass die als Beweis angeführte Vergilstelle vom Griechischen beeinflusst ist, habe ich im Kühner/Stegmann gefunden. Aber welchen griechischen Einfluss die Konstruktion bei Lucan hat, erschließt sich mir beim besten Willen nicht; die Stelle im Ganzen ist so gestaltet:

Agnoscere solis
Permissum, quos iam tangit vicinia fati
[...]
Felix esse mori.


Auf gut Deutsch also etwa: "Denen allein ists erlaubt, zu erkennen, denen, die schon an der Grenze zum Tode stehen, dass es ein Glücksfall ist zu sterben".

Felix ist wohl hier als Neutrum aufzufassen; aber was daran ist vom Griechischen beeinflusst? Der folgende Infinitiv mori? Ich finde auch, dass die zur Erklärung angeführte Vergilstelle nicht viel mit der Stelle Lucans zu tun hat.

Was meint ihr dazu? Ich bin für jeden sachdienlichen Hinweis dankbar :wink:
Pangere non potuit nisi potus scurra Cratinus;
sunt mihi fata eadem: Pierides madeant!


Mox Melitam multo mala murmure maltha migrabit.

Iuppiter est, quodcumque vides, quodcumque moveris.
Sortilegis egeant dubii semperque futuris
Casibus ancipites: me non oracula certum,
Sed mors certa facit. Pavido fortique cadendum est:
Hoc satis est dixisse Iovem.
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Re: Felix esse mori

Beitragvon marcus03 » Mo 14. Apr 2014, 17:55

Meine Meinung dazu:

donat habere: er schenkt das Haben/das Besitzen-Dürfen (Objektsinfinitiv)

agnoscere felix esse mori ...solis permissum est : wörtl.etwa : "das das Sterben als ein Glück-sein Anerkennen" wird nur denen zugestanden... (Subjektsinfinitiv/Gerund + 2 Objektsinfinitive, wobei einer prädikativ ist). Das klingt doch sehr griechisch konstruiert, oder ?
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Re: Felix esse mori

Beitragvon Prudentius » Di 15. Apr 2014, 07:56

aber was daran ist vom Griechischen beeinflusst?


In der klassischen gr. Literatur kommt dieses Motiv vor: "Sterben ist besser als leben", ich kann jetzt so aus dem Kopf nicht genau zitieren, Euripides; bei Herodot in der Solon-Krösus-Geschichte, Kr. fragt S., wen er für den glücklichsten Menschen halte (er möchte gern selbst genannt werden), Solon nennt drei Beispiele von Leuten, die einen glücklichen Tod hatten; "Man soll keinen Menschen vor dem Tod glücklich preisen";
"Nicht geboren werden ist das beste für den Menschen; das zweitbeste: möglichst bald sterben", wohl Euripides; gr. Pessimismus.
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Re: Felix esse mori

Beitragvon marcus03 » Di 15. Apr 2014, 08:36

Θνάτοισι μὴ φυναι φέριστον.
Thnatoisi mē phynai pheriston.
„Für die Sterblichen ist nicht geboren zu werden das Beste.“

Ausdruck des griechischen Pessimismus, über den Norbert Wokart in seinem Buch Die Sandalen des Empedokles schreibt:

„Dieses Spruches wegen, der wie ein Leitmotiv die gesamte Literatur und Philosophie der griechischen Antike durchzieht hat man den Griechen Pessimismus unterstellt. Sie litten gewiss am Leben, und die Vergänglichkeit des Menschen, seine Hinfälligkeit und Verletzlichkeit warfen ihnen so düstere Schatten, dass das Leben ihnen manchmal nichtig schien. Diese Erfahrung der Leiblichkeit musste umso schwerer wiegen, als sie durch keine Hoffnung auf Erlösung gemildert wurde; denn der griechische Glaube versprach den Menschen weder hier im Leben noch dort im Tod irgendeinen Trost.“ [15]

Es handelt sich dabei um eine Feststellung des Chorlyrikers Bakchylides, der die Daseinsverachtung des Theognis von Megara aufgreift:

Von allem (ist) nicht geboren zu werden für die Erdbewohner am besten

und nicht zu erblicken die Strahlen der hellen Sonne,

Geboren aber möglichst schnell die Pforten des Hades zu erreichen

und (im Grab) zu liegen, (nachdem man) viel Erde auf sich gehäuft (hat). [16]

Der Geschichtenschreiber Herodot erzählt dazu die kleinen Geschichte von dem Brüderpaar Kleobis und Biton, den Söhnen einer Herapriesterin, die – weil die Stiere gerade auf der Weide waren – selbst den schweren Kultwagen der Mutter zum Tempel gezogen. Stolz auf ihre Söhne, bat die Priesterin die Göttin Hera, den jungen Männern das zu gewähren, was für die Menschen das Beste sei. Die beiden legten sich im Tempel schlafen und erwachten nicht wieder. Dazu heißt es:

„Es zeigte an diesen der Gott, daß es besser sei für einen Menschen, tot zu sein, statt zu leben.“ [17]

Der Philosoph Friedrich Nietzsche erzählt die alte Sage, dass König Midas lange Zeit im Wald nach dem weisen Silen gejagt habe. Als er ihn endlich gefangen hatte, fragt Midas, was für den Menschen das Allerbeste sei:

„Starr und unbeweglich schweigt der Dämon; bis er, durch den König gezwungen, endlich unter gellem Lachen in diese Worte ausbricht: ‚Elendes Eintagsgeschlecht, des Zufalls Kinder und der Mühsal, was zwingst du mich dir zu sagen, was nicht zu hören für dich das Ersprießlichste ist? Das Allerbeste ist für dich gänzlich unerreichbar: nicht geboren zu sein, nicht zu sein, nichts zu sein. Das Zweitbeste aber ist für dich - bald zu sterben.‘“ [18]

Siehe auch: Ζωῆς πονηρᾶς θάνατος αἱρετώτερος. („Einem schlechten Leben ist der Tod vorzuziehen.“)

http://de.wikipedia.org/?title=Liste_gr ... asen/Theta
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Re: Felix esse mori

Beitragvon SursumDeorsum » Mi 16. Apr 2014, 21:51

Vielen Dank für die Anregungen!

Zum Sprachlichen habe ich noch einmal recherchiert: die Wendung 'felix esse mori' kann nicht nur von 'agnoscere' abhängig gemacht werden kann, sondern auch von celare aliquem + AcI:

Victurosque dei celant, ut vivere durent,
Felix esse mori.


--> und denen, die ihr Leben noch vor sich haben, verhehlen die Götter, dass es ein Glück ist, zu sterben, dass sie weiterhin das Leben ertragen.

weitere Stellen mit dieser seltenen Konstruktion: Cic. Att. 11, 24, 2; Plin. epist. 5, 3, 1; Apul. met. 5, 17.

Zumindest für diese Konstruktion sieht Priscian GLK 3, p. 342 keine Besonderheit und keine Beeinflussung durch das Griechische.
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Re: Felix esse mori

Beitragvon Ioscius » So 20. Apr 2014, 16:34

Danke für Deine Bemühungen!

Du meinst also, bei celare ist eine ähnliche Konstruktion wie bei docere möglich?:

Te doceo/ celo me linguam Latinam discere.
ich verheimliche dir / unterrichte dich davon, dass ich Latein lerne.


Bei Deinem Beispiel würde der AcI das Akkusativobjekt rei erfüllen, und der ut-Satz wäre dann eine Art Konsekutivsatz, der lediglich den Umkehrschluss des AcI's bildet ("also dass"...)
"felix est" als Konkurrenzausdruck eines Gen. poss. "Es zeugt von Glücklichsein" klingt sehr plausibel!

Komischerweise lese ich weder im Menge, noch im Georges, noch im Lewis % Short von Infinitivkonstruktionen bei diesem Wort.

2. Ich würde die Stelle Priscians lesen. Was heißt GLK? Sind das einzelne Fragmente Priscians? Die Abkürzung GLK taucht im Internet oft auf, wird aber nicht ekrlärt -,-

Danke :)
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Re: Felix esse mori

Beitragvon marcus03 » So 20. Apr 2014, 16:44

Ioscius hat geschrieben:Du meinst also, bei celare ist eine ähnliche Konstruktion wie bei docere möglich?


http://www.zeno.org/Georges-1913/A/celo?hl=celo
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Re: Felix esse mori

Beitragvon SursumDeorsum » So 20. Apr 2014, 17:01

Ioscius hat geschrieben:
Ich würde die Stelle Priscians lesen. Was heißt GLK? Sind das einzelne Fragmente Priscians? Die Abkürzung GLK taucht im Internet oft auf, wird aber nicht ekrlärt -,-


GLK = Grammatici Latini ed. Keil, nach ihrem Herausgeber Heinrich Keil.
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Re: Felix esse mori

Beitragvon Ioscius » So 20. Apr 2014, 17:29

SursumDeorsum hat geschrieben:
Ioscius hat geschrieben:
Ich würde die Stelle Priscians lesen. Was heißt GLK? Sind das einzelne Fragmente Priscians? Die Abkürzung GLK taucht im Internet oft auf, wird aber nicht ekrlärt -,-


GLK = Grammatici Latini ed. Keil, nach ihrem Herausgeber Heinrich Keil.


Gratias!

Für die, die es nachlesen wollen: https://archive.org/stream/grammaticila ... 7/mode/2up
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