Petron. satyrica 44, 18.

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Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon colocynthis » Mi 2. Apr 2014, 18:59

Salvete :)

in den Freigelassenengesprächen der Cena Trimalchionis klagt Ganymed über gegenwärtige Zustände (Dürre, Brotpreise, korrupte Beamten, mangelnde Religiosität) und sagt, früher wären die Menschen gläubiger, frommer. Die Misere der Gegenwart veranlassen die Götter (omnia illa a diibus fieri)

Dann sagt er, di pedes lanatos habent. Was bedeutet dieser Satz?
Georges sagt, "sie kommen unvermerkt zu Rache".
Ein Schulbuch-Kommentar, die Götter hätten Gicht und kämen daher nicht.
Ein englischer Kommentar, the gods act to slow.

Die Stelle scheint nicht eindeutig geklärt. Vielleicht doch? Was meint ihr dazu?

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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon RM » Mi 2. Apr 2014, 19:20

Porphyrio sagt dazu folgendes:

Porph, Carm, 3, 2, 31, -32 (Commentum in Horati Carmina):
Hoc proximum est illi, quod dicitur, deos iratos pedes lanatos habere, quia nonnumquam tarde ueniunt nocentibus.

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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon consus » Mi 2. Apr 2014, 19:35

... und bei A. Otto, Sprichw. d. Römer (Lpz 1890, S. 110f.) lesen wir auch etwas dazu: https://archive.org/stream/diesprichwrteru00ottogoog#page/n165/mode/2up.
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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon RM » Mi 2. Apr 2014, 19:43

Wahrscheinlich sitzen die Götter mit Filzpantoffeln (pedibus lanatis) vor dem Kamin und überlegen, ob sie überhaupt kommen sollen :wink:

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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 2. Apr 2014, 20:53

Müller/Ehlers in der TVSCVLVM Ausgabe bringen eine witzige Übersetzung:
itaque dii pedes lanatos habent...
--> so bringen die Götter keine Diele zum Knarren..
;-)
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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon Prudentius » Do 3. Apr 2014, 19:28

Bei uns heißt es sinngemäß: "Gottes Mühlen mahlen langsam".
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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon Zythophilus » So 6. Apr 2014, 19:03

Sollte das von Petron verwendete Sprichwort tatsächlich der Wendung "Gottes Mühlen mahlen langsam." entsprechen, hätten wir hier eine Art populärer Theodizee. Es gibt auch eine andere Erklärung: Müssen die pedes lanati unbedingt auf eine langsame Fortbewegung schließen lassen? Das Sprichwort könnte auch auf die leise Fortbewegung abzielen: Das ist mit der Übersetzung in der Tusculum-Ausgabe gemeint, aber auch im Stowasser findet man (beim Stichwort lānātus 3) "kommen auf leisen Sohlen".
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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon RM » So 6. Apr 2014, 19:23

Zythophilus hat geschrieben:Müssen die pedes lanati unbedingt auf eine langsame Fortbewegung schließen lassen? Das Sprichwort könnte auch auf die leise Fortbewegung abzielen: Das ist mit der Übersetzung in der Tusculum-Ausgabe gemeint, aber auch im Stowasser findet man (beim Stichwort lānātus 3) "kommen auf leisen Sohlen".

Dagegen spricht aber eindeutig Porphyrios Erklärung. Bei Horaz steht an der Stelle, die Porphyrio erläutert, Folgendes:
raro antecedentem scelestum
deseruit pede Poena claudo.


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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon Prudentius » Mo 7. Apr 2014, 09:51

hätten wir hier eine Art populärer Theodizee


Ja, oder sollten wir lieber sagen, die übliche Verlegenheitsauskunft der Theologen, oder noch anders: hier zeigt sich die Bruchstelle zwischen den dogmatischen Aussagen über die Weltregierung durch den allgerechten Gott und der Erfahrung des chaotischen Weltverlaufs.

Die Horazstelle stammt ja aus den "Römeroden" (c. 3:2:31), in denen Horaz sich besonders in den Dienst des augusteischen Reformprogramms stellt, darin kommen auch die berühmten Verse vor: dulce et decorum est pro patria mori.
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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon cometes » Mo 7. Apr 2014, 15:21

Die mit der Beschwörung der guten alten Zeit einhergehende Klage des Ganymedes über die gegenwärtigen Verhältnisse mündet, nachdem sie sich über Teuerung, Nepotismus, charakterlose Politiker, feige Bürger usf. ausgelassen hat, doch in einer Ursachenforschung.
Diese verweist zuletzt auf die Folgen - itaque dii pedes lanatos habent - der zuvor geschilderten Vernachlässigung der menschlich-göttlichen Beziehung, die unter dem für die römische religio so wichtigen Aspekt des do, ut des, also der Gabe/Gegengabe-Struktur gesehen wird.

Von gerechter Strafe oder auch nur Rache mit Verzögerungseffekt ist nicht die Rede, schon gar nicht von Theodizee, auch die Vorstellung, dass die pedes lanati eine Art Trittschalldämmung für den unvermuteten Zugriff göttlicher Gewalt darstellen, passt überhaupt nicht zum Text.

Ganymedes tröstet sich nicht mit spät aber sicher eintretenden Strafen oder die Gerechtigkeit wiederherstellenden Ausgleichshandlungen, er sucht schlicht eine Erklärung für den beklagenswerten Status quo unter besonderer Berücksichtigung seiner ganz privaten Misere.
Die aber liegt in seinen Augen darin, dass durch den Niedergang der Frömmigkeit, die Abnahme der Opferbereitschaft gepaart mit Egoismus und Geldgier die Reaktionen von himmlischer Seite ausbleiben bzw. Folgen durch Unterlassung haben. Wenn von den Menschen nichts kommt, bleibt die günstige Reaktion der Götter aus. Dass bei ordentlicher Einhaltung der rituellen Praxis mit einer unmittelbaren Reaktion zur rechnen ist, macht das vorhergehende Beispiel der Bitte um Regen bei Jupiter deutlich: itaque statim urceatim plovebat, aut tunc aut numquam, et omnes redibant udi tam quam mures.

Zum Verständnis des bildhaften Ausdrucks der pedes lanatos trägt meines Erachtens die im Link von consus erwähnte Stelle aus den Saturnalia des Macrobius mehr bei als der Horaz-Kommentar:

Saturnam Apollodorus alligari ait per annum laneo vinculo et solvi ad diem sibi festum id est mense hoc Decembri, atque inde proverbium ductum, deos laneos pedes habere; significari vero decimo mense semen in utero animatum in vitam grandescere, quod donec erumpat in lucem, mollibus naturae vinculis detinetur.

Apollodorus sagt, dass (das Standbild des Gottes) Saturn das Jahr über mit einem wollenen Band gefesselt sei und er zu seinem Festtag, d. h. im Dezember, befreit werde, woher das Sprichwort "die Götter haben wollene Füße" sich ableite, und dass dies bedeute, dass im zehnten Monat der im Unterleib belebte Samen zu wachsen beginne, da er, ehe er ans Licht trete, durch die sanften Fesseln der Natur zurückgehalten werde.


Auch wenn dadurch die ursprüngliche Intention der Fesselung/Lösung des Gottes in religionshistorischer Perspektive nicht vollständig erfasst sein mag, so werden diese doch als Teil einer Kulthandlung sichtbar, die in enger Verbindung mit den für die Landwirtschaft bedeutsamen Wachstumszyklen im Jahreszeitenkreis steht – entsprechend schließt Petronius mit agri iacent – die Felder liegen brach ...
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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon RM » Mo 7. Apr 2014, 19:18

Ich würde die Stelle bei Petronius mal nicht religiös überinterpretieren. Das ist eigentlich das übliche Lamentieren, dass die Zeiten immer schlechter, die Brötchen immer kleiner werden usw. Dass das Sprichwort weitgehend losgelöst von seinem ursprünglichen Kontext gebraucht wurde, halte ich für gut möglich - kommt bei den Fans von Trimalchio ja häufiger vor, dass die Bezüge ein wenig danebenliegen. Das mit "agri iacent" konnte Ganymedes nicht mehr richtig ausführen, weil er an dieser Stelle unterbrochen wurde. Aber das mit der Bitte um Regen bezieht sich natürlich auf die "siccitas" vom Anfang seiner Rede.

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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon cometes » Mo 7. Apr 2014, 21:07

Natürlich ist Ganymedes satirisch als wehleidiger Schwätzer gezeichnet, der am Ende für alles, was ihm nicht passt, eine simple Erklärung sucht. Das hindert allerdings nicht, den religiösen Horizont, unter dem Sätze wie puto omnia illa a diibus fieri und die Vergleiche von einst und jetzt, da nemo Iovem pili facit, stehen, begreifen zu wollen. Das Beispiel mit der Bitte um Regen nimmt die siccitas wohl auf, aber es soll im Kontext auch als eines des rechten religiösen Verhaltens antea, das von Erfolg in Gestalt einer unmittelbaren göttlichen "Antwort" gekrönt war, dienen. Hier geht es einfach nicht um Theodizee angesichts des Weltlaufs oder lautlose göttliche Rache, sondern um die behaupteten Konsequenzen einer heruntergekommenen religio - und das meint: keiner schert sich mehr um die notwendigen Riten und Bräuche, also haben sich die Dinge entsprechend entwickelt, da in den Augen des Redners alles von den Göttern abhängt. Gibt der Mensch nichts, bekommt er nichts. Die Misere ist längst eingetreten, keine künftige Strafe. Der Kontext, in dem das schwer verständliche Sprichwort fällt, bleibt in diesem Sinne ein religiöser. Dass es absichtlich falsch eingesetzt wird, ist möglich, hätte, wenn es nicht eine zusätzliche Pointe aus dem Sinnunterschied erzeugte, aber nur den Effekt, Ganymedes als Dummkopf erscheinen zu lassen, der nicht weiß, was er redet. Das klärt jedoch nicht, wie es richtig gebraucht verstanden wurde. Übersetzungen verschiedener Sprachen sehen darin jedenfalls den Ausdruck einer ausbleibenden positiven Reaktion der Götter, die der Mensch verschuldet hat: But the gods all have the gout now, because we are not religious (W. C. Firebaugh) - Aber jetzt haben sich die Götter Watte in die Ohren gesteckt, weil wir keine Religion haben (O.Weinrich), Aujourd'hui les dieux ont les pieds liés pour venir à notre secours : on n'a plus de religion (Désiré Nisard).
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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon Medicus domesticus » Mo 7. Apr 2014, 21:14

Das ist genau doch: Die Götter lassen keine Diele krachen. Man darf Petronius "auch nicht so ernst nehmen". Müller/Ehlers sind auch nicht irgendwer.
Ich habe mich lange mit Petronius beschäftigt, eigentlich schon seit der LK Latein-Zeit, da hatten wir auch Petronius. Vieles wird m.E. überinterpretiert.
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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon Laptop » Di 8. Apr 2014, 03:48

Ein Teil der Erklärung liegt in dem vorhergehenden “et omnes redibant udi tam quam mures”. Kann das jemand übersetzen? Heinse übersetzt mit “Aber jetzt achtet man die Götter, wie die Mäuse”, was ich skeptisch sehe, denn woher nimmt er das “jetzt”? Und udus, was sich offenbar auf den Regen bezieht, erwähnt er gar nicht. Soll etwa gemeint sein, daß Mäuse den Regen nicht mögen, und die Menschen voller Undank die Nase rümpften über den Regen und nach Hause eilten wie Mäuse, die schnell in ihr Loch rennen?

Vielleicht so? Und sie baten den Göttervater um Wasser. Und so regnete es sofort kübelweise, auf Teufel komm raus. Und alle rannten wie nasse Mäuse zurück in ihre Löcher. Deshalb überstürzen die Götter nichts (sie schauen erst einmal wie fromm man wirklich ist, bevor sie zur Hilfe kommen).
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Re: Petron. satyrica 44, 18.

Beitragvon RM » Di 8. Apr 2014, 08:58

... und alle kehrten zurück, nass wie die Ratten/Mäuse ...
entspricht wahrscheinlich ungefähr dem deutschen "wie begossene Pudel".

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