von cometes » Mo 7. Apr 2014, 15:21
Die mit der Beschwörung der guten alten Zeit einhergehende Klage des Ganymedes über die gegenwärtigen Verhältnisse mündet, nachdem sie sich über Teuerung, Nepotismus, charakterlose Politiker, feige Bürger usf. ausgelassen hat, doch in einer Ursachenforschung.
Diese verweist zuletzt auf die Folgen - itaque dii pedes lanatos habent - der zuvor geschilderten Vernachlässigung der menschlich-göttlichen Beziehung, die unter dem für die römische religio so wichtigen Aspekt des do, ut des, also der Gabe/Gegengabe-Struktur gesehen wird.
Von gerechter Strafe oder auch nur Rache mit Verzögerungseffekt ist nicht die Rede, schon gar nicht von Theodizee, auch die Vorstellung, dass die pedes lanati eine Art Trittschalldämmung für den unvermuteten Zugriff göttlicher Gewalt darstellen, passt überhaupt nicht zum Text.
Ganymedes tröstet sich nicht mit spät aber sicher eintretenden Strafen oder die Gerechtigkeit wiederherstellenden Ausgleichshandlungen, er sucht schlicht eine Erklärung für den beklagenswerten Status quo unter besonderer Berücksichtigung seiner ganz privaten Misere.
Die aber liegt in seinen Augen darin, dass durch den Niedergang der Frömmigkeit, die Abnahme der Opferbereitschaft gepaart mit Egoismus und Geldgier die Reaktionen von himmlischer Seite ausbleiben bzw. Folgen durch Unterlassung haben. Wenn von den Menschen nichts kommt, bleibt die günstige Reaktion der Götter aus. Dass bei ordentlicher Einhaltung der rituellen Praxis mit einer unmittelbaren Reaktion zur rechnen ist, macht das vorhergehende Beispiel der Bitte um Regen bei Jupiter deutlich: itaque statim urceatim plovebat, aut tunc aut numquam, et omnes redibant udi tam quam mures.
Zum Verständnis des bildhaften Ausdrucks der pedes lanatos trägt meines Erachtens die im Link von consus erwähnte Stelle aus den Saturnalia des Macrobius mehr bei als der Horaz-Kommentar:
Saturnam Apollodorus alligari ait per annum laneo vinculo et solvi ad diem sibi festum id est mense hoc Decembri, atque inde proverbium ductum, deos laneos pedes habere; significari vero decimo mense semen in utero animatum in vitam grandescere, quod donec erumpat in lucem, mollibus naturae vinculis detinetur.
Apollodorus sagt, dass (das Standbild des Gottes) Saturn das Jahr über mit einem wollenen Band gefesselt sei und er zu seinem Festtag, d. h. im Dezember, befreit werde, woher das Sprichwort "die Götter haben wollene Füße" sich ableite, und dass dies bedeute, dass im zehnten Monat der im Unterleib belebte Samen zu wachsen beginne, da er, ehe er ans Licht trete, durch die sanften Fesseln der Natur zurückgehalten werde.
Auch wenn dadurch die ursprüngliche Intention der Fesselung/Lösung des Gottes in religionshistorischer Perspektive nicht vollständig erfasst sein mag, so werden diese doch als Teil einer Kulthandlung sichtbar, die in enger Verbindung mit den für die Landwirtschaft bedeutsamen Wachstumszyklen im Jahreszeitenkreis steht – entsprechend schließt Petronius mit agri iacent – die Felder liegen brach ...