Salvete!
..... cogitanti mihi et vetera repetenti
illa thesis mihi disputandi digna et probanda esse videtur.....
(0) Ansätze
(1) Modalverben
(2) Debeo ire - Pinkster
(3) Velle et posse
(4) iubere et vetare
(5) porta vetita
(6) Literatur(0) AnsätzeHier seien noch einmal einige Beispiele aus der laufenden, anregenden Diskussion
(Sokrates, Ioscius, Prudentius) aufgegriffen und beleuchtet, es geht um
das Transitivproblem und
die Modalverben .
Damit einhergehend sei die
These präsentiert, dass sich in der formalsyntaktischen Regel
transitive Verben sind Verben, die im Aktiv ein Akkusativobjekt besitzen, das im Passiv zum Nominativsubjekt wird eine Standardregel findet, dass aber s
emantische Normen der Verträglichkeit und überhaupt Rollenmodelle der Valenz bei Umformungen keinesfall an Wichtigkeit verlieren. Ganz im Gegenteil: Die semantischen Konzepte sind stark und einflussreich. Sie interagieren mit syntaktischen Systemen in aufschlussreicher Weise.
(1) Modalverben Was sind Modalverben? Es geht um solche Verben, die eine „neutrale“ Grundaussage wie z. B.„ich schlafe“ und ihren Sachverhaltsentwurf auf einem bestimmten Redehintergrund einordnen. Dabei sind sie semantisch stärker als die Hilfsverben (sein, scheinen, bleiben), semantische Leichtgewichte aber noch immer.
Das heißt, es geht um Verben wie „müssen, sollen, können“. Und natürlich um ihre mögliche und meist notwendige Ergänzung durch andere Verben, vorzüglich
Vollverben im Infinitiv. Und zwar im Infinitiv Aktiv und im Infinitiv Passiv. Wobei diese Vollverben aufgrund ihrer Valenz bestimmte Ergänzungen oder Angaben ihres Feldes aktivieren können.
(2) Debeo ire - bei PinksterDebeo ire
Pinkster Lateinische Syntax und Semantik S. 206f.
Pinkster setzt bei
debeo ein zweistelliges Verb an. Ähnlich wie bei
oportet gehe es um eine verpflichtete, durch Normen verpflichtete Person und die ihr auferlegte Tätigkeit.
Allerdings: Anders als bei "ire volo" sei das Subjekt und Agens von
ire syntaktisch aus diesem Verbund herausgenommen und als Subjekt im “Hauptprädikat“ integriert. Es gehe ja nicht um eine im Subjekt angelegte Relation, das Verpflichtetsein sei eben nicht im Subjekt angelegt.
Nun lässt sich einwenden:
Debere betont schon - vor der aktuellen Einbettung in Sätze - als Lexem bestimmte semantische Komponenten, etwa das Sem
starker Anspruch und es lässt
weitgehend offen, ob es sich dabei um einen Eigenanspruch oder einen Fremdanspruch/Fremdauftrag oder um beides handelt. Der Kontext setzt jeweils die entsprechenden Varianten, die aktuell gültig sind. Ein Satz wie „volo et debeo ire“ ist recht wohl möglich und sichert stützend die These von der Offenheit des Modalverbs, der Offenheit von "debeo" für Spezifikationen.
Wir brauchen also - nicht notwendigerweise, wie es Pinkster recht vorsichtig tut („ist es angemessener zusagen“) - jeweils syntaktisch und semantisch verschiedene Verbmodelle ansetzen. Und müssen dies dann auch nicht durch ein
Hebungsverfahren abrunden. Es ist nicht nötig, das Modalverb als ein
eigentlich intransitiv (sit venia verbo
) verwendetes Verb zu klassifizieren, in dessen ausgesparte Subjektposition dann das Subjekt/Agens der eingebetteten Phrase
gehoben wird.
(3) Wollen und könnenEin kurzer Blick auf das Deutsche mag hier – für die These einer offenen und praktikablen Semantik und ihre Gültigkeit - aufschlussreich sein: Beim Stellenplan von „wollen“ werden personal-humane Subjekte/Füllungen sicher bevorzugt. Sicher deswegen, weil in unserem Weltverständnis eben Personen fast monopolartig mit Handlungen, mit Wünschen und Intentionen befasst sind. Überhaupt: Das Agens ist traditionellerweise aufgefasst als der typischerweise belebte Partizipant eines Vorgangs. Ein Partizipant, welcher absichtlich die vom Prädikat skizzierte Situation herbeiführt.
Trotzdem lassen sich
Modalverben mit der semantischen Komponente "Absichtsträger" aus ihrem primären Feld weitertransportieren, etwa hier zu beobachten:
Diese Tür will und will nicht aufgehen.Der Satz meint wohl nicht unbedingt metaphorisch, dass hier eine Tür sich willentlich und menschengleich dem Öffnen durch Menschen widersetzt. Vielmehr erweitern wir in einer Art Hochrechnung den modalen Deutungskontext und seinen Standardbereich:
Bei oftmaligem Versuch durch menschliche Akteure erweist sich die Tür als nicht im herkömmlichen Sinn nutzbar. Man vergleiche entsprechend:
Gut Ding will Weile haben.
Oder:
Auch Faulenzen will gelernt sein.
Und Pinksters Beleg für eine mögliche
Raising-Analyse zur Klärung von
cum haec scribebam… Pompeius iam Brundisium venisse poterat; Atticus 8,9 ist nicht unbedingt zwingend. Die
epistemisch-conclusive Lesart von
posse lässt sich eben durch ein entsprechendes semantisches Konzept erfassen, das wir intuitiv anwenden:
Bezogen auf Pompeius konnte von uns gefolgert werden, dass ….Ähnliche semantische Interpretationen sind wohl auch sonst bei „posse“ möglich:
Ein Satz wie
„porta aperiri potest“ impliziert nicht notwendig, dass es sich hier um das (menschliche) Vermögen eines unbelebten Gegenstandes handelt, um die Disposition und das Vermögen dieses Gegenstandes, dass er
sich selber öffnen kann oder dass er
geöffnet werden kann.
Vielmehr setzen wir beim Verstehen wohl einen latenten Bedeutungsrahmen an, den der Sprecher mitsignalisieren oder voraussetzen dürfte. Und in diesem geht es um eine aus empirisch beobachtbaren Handlungen im Umgang mit der Tür zu folgernden Sachverhalt:
Porta aperiri potest formuliert fazitartig und verkürzt, was Sache ist.
(4) Iubere und vetareWie sieht es bei
iubere (oder
vetare) aus?
Ein kurzer Blick auf BSs Beispiel § 489,2:
is [Romulus] igitur, ut natus sit,
cum Remo fratre
dicitur
ab Amulio, rege Albano, ob labefactandi regni timorem ad Tiberim exponi iussus esse;
de re publica 2,4
Die Besonderheit von
iubere ist hier die Kongruenz mit
is (Romulus): Es handelt sich um den kleinen Romulus, ein unmündiges Kind, zweifellos nicht fähig einen Befehl auszuführen, was ja aber im Konzept von
iubere aliquem vorausgesetzt wird.
Ein Widerspruch. Widersprüchlich
noch dazu, weil es hier das Passiv
exponi gibt, das
erst recht alle Agensqualität und die Kontrollfähigkeit von Romulus
absorbiert, nein
zerstört. Das
Subjekt Romulus ist in jeder Hinsicht
Patiens und Opfer einer Handlung außerhalb seines „Machtbereichs“.
Zweifellos wären wir zufriedener
, wäre hier ein
iussum est zu verzeichnen oder ein
servus quidam iussus est, ut (sic!) Romulus ad Tiberim exponeretur/ut Romulum ... exponeret (oder AcI oder rex ministrum iussit oder …).
Allerdings lässt sich auch hier ein mental selbständig funktionierendes Rezept, ein mentaler Dechiffriermechanismus, beobachten. Wir interpolieren beim Lesen wohl unterbewusst, es gebe/gibt da im gegebenen historischen Sachverhalt ein implizites, latentes Agens als Befehlsempfänger, also Rezipient oder Patiens, das eben nicht Romulus ist.
Dabei erweitern wir die Grundbedeutung von
iubere und
bleichen sie aus. Die Standard-Vokabel „jemandem etwas befehlen/jemanden mit etwas beauftragen, das in seiner Handlungsmöglichkeit liegt“ erhält die Variante „ jemanden oder etwas mit einem Befehl belegen, der an ihm auszuführen“ ist. So rückt dann das Patiens einer Verbhandlung als Zielobjekt ein und wird in der Passivformulierung Subjekt:
Romulus wurde mit dem Befehl belegt, ausgesetzt zu werden. Das Passivagens, der das Aussetzen ausführende und kontrollierende Rollenträger, ist damit ausgeklammert - was das Passiv ja geradezu auszeichnet. Und der Satz ist bei aller al-fresco-Manier und allen Leerstellen recht gut verständlich.
(5) porta vetitaEin Übergang von einem belebten, aber kontrollunfähigen
Lebewesen (
Baby Romulus) zu einem unbelebten und qua ontischem Status nicht kontrollfähigen
Ding wie
Tür mag dann durchaus im Rahmen sprachlicher Möglichkeiten liegen.
So wie es einem Simonides beschieden war, nicht segeln zu dürfen, mag es einer Tür beschieden sein, nicht geöffnet zu werden und nicht geöffnet werden zu dürfen.
Sicut aperte Simonides vetitus est navigare.
div II 134
porta aperiri vetita est
Zumindest könnte man mit und gegen Pinkster die These verfechten: Raising-Konstruktionen generieren vielleicht Erweiterungen in der Grundbedeutung eines Lexems. Mindestens ebenso wahrscheinlich: Grundbedeutungen sind bereits im Lexikon in vielen Modifikationen und Rollenmodellen abgespeichert und variiert.
Die Syntax mag oder mag nicht
im Einzelfall auf diesen Pool zurückgreifen, eine wahre Schatztruhe semantischer Patterns, Kleinode eben, sie steht offen zur Verfügung.
(6) Literatur:raising
http://en.wikipedia.org/wiki/Raising_(linguistics)Transitivität
http://tinyurl.com/qjpuxfdEmpfehlenswert kompakt
Valete
willi wamser