geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon RM » Mo 17. Mär 2014, 08:55

An der Stelle müssen wir uns aber auch fragen, woher wir eigentlich wissen, dass das Wort auf der vorletzten Silbe betont wird. Wir geraten da schnell in die Gefahr eines Zirkelschlusses.
Was naturlange Silben betrifft, die darüber hinaus positionslang sind, bin ich sehr skeptisch. In der Regel handelt es sich meistens um abgeleitete Vermutungen und keine eindeutigen Beweise. Ich würde eher behaupten, dass wir bei positionslangen Silben grundsätzlich nichts Eindeutiges über die Länge des Vokals sagen können.

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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon Laptop » Mo 17. Mär 2014, 09:47

@RM Aber zw. Vermutung und Wissen steht das Indiz. Und wenn ich mir die “List of the Most Important Words containing a Long Vowel before Two Consonants” von Bennett so anschaue, dann begründet er an sich immer mit Ableitungen von Etymonen, seien es griechische oder Lateinische, bspw.
crāstinus: from crās.

oder
eclīpsis: Gr. ἔκλειψις.

Denkst du nicht solche Indizien sind schon mehr als bloße Vermutungen?
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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon RM » Mo 17. Mär 2014, 19:53

Dazu grundsätzlich folgendes:
Nein, ich glaube nicht, dass man etymologisch eindeutig herleiten kann, wie etwas tatsächlich ausgesprochen wurde. Es gibt zwar Indizien, aber die führen nicht immer zu einem eindeutigen Beweis. Insbesondere bei unbetonten Silben bin ich skeptisch, ob wir mit unseren Vermutungen immer richtig liegen, zumal wenn die Wörter aus einer Fremdsprache kommen. Aber auch bei betonten Silben glaube ich nicht, dass die Römer Vokale, die nach der Etymologie lang sein sollten, bei einer ohnehin vorhandenen Positionslänge auch so ausgesprochen haben, da die Betonung ausreicht und Sprache grundsätzlich zu gewissen Kompressionsalgorithmen neigt (vgl. z. B. Zipfsches Gesetz).

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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon ille ego qui » Di 18. Mär 2014, 18:52

Laptop hat geschrieben:Ich glaube wir kommen mit Stroh als Diskussionsgrundlage hier nicht weiter, da er die Aussprache von Gebundener und Ungebundener Rede in einen Topf wirft, und zweitens sich mißverständlich ausdrückt. Bspw.
Breuis autem ea syllaba est, cuius uocalem breuem non plus quam una consonans sequitur
ist mißverständlich, denn hier könnte man verstehen "eine Silbe, die auf bloß _einen_ Konsonant endet, ist kurz", was offensichtlich nicht gemeint ist. Insgesamt wirft was er sagt mehr Fragen auf, als daß es welche beantwortet.


um das klarzustellen: Stroh ist der Meinung eine Silbe sei dann positionslang, wenn auf einen kurzen vokal mehrere konsonanten folgen - die Erklärung der "novatores", die stattdessen von der Geschlossenheit einer silbe ausgehen, rät er mit Vorsicht zu genießen.
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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon ille ego qui » Di 18. Mär 2014, 22:24

en rursus nobilissimum testimonium exstitit:

Humique stravit Sphinga fortiter feram.


;-)
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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon Zythophilus » Di 18. Mär 2014, 23:00

Offenbar herrscht keine einheitliche Einschätzung dieses Phänomens durch die Römer. Vergil vermeidet es, Wörter, die mit zwei oder mehr Konsonanten - McL lässt er zu - beginnen, nach einer kurzen vokalisch endenden Silbe zu positionieren. Ovid verwendet, soweit ich es überblicke nur zmaragdus (manchmal auch mit s- geschrieben), so Am. II 6,21, aber dieses Wort bekommt man nicht anders ins daktyl. Versmaß.
Andere verwenden es durchaus, wobei keine Längung der vorhergehenden Silbe bewirkt wird.
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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon Laptop » Mi 19. Mär 2014, 02:28

@Ille Man muß sich zuerst festlegen wovon man spricht, von Äpfel oder Birnen, von Gebundener oder Ungebundener Rede. Nochmal zurück zu deiner Ausgangsfrage "geschlossene Silbe = positionslange Silbe?".
Ich möchte die Frage so beantworten. Wenn wir "positionslang" so definieren, daß wir die Ausnahmen "qu", "x", "z" und McL beachten, dann kann man sagen eine positionslange Silbe ist _immer_ eine geschlossene Silbe. Aber eine Geschlossene ist _nicht_ immer eine positionslange. Eine geschlossene Silbe kann in der Poesie zu einer offenen gemacht werden. Insofern gilt diese Gleichung nur in die eine Richtung, nicht in beide. Wobei auch meine Aussage nur unter der Definition gilt, daß man auch syllabae ambicipites als "geschlossene Silben" mitbezeichnet. Um die Thematik wirklich unmißverständlich zu machen, muß die Terminologie eine andere werden.
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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon RM » Mi 19. Mär 2014, 09:51

Ist das immer so oder nur über Wortgrenzen hinweg?
Ein Beispiel: restat (von restare). "re-" sollte in Analogie zu anderen Verben kurz sein. Ist re- eine offene oder geschlossene Silbe? Ist es positionslang oder -kurz?
Die zweite Frage ist leicht beantwortet: Es ist positionslang (Ov. Am. 3, 9, 60).

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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon Laptop » Fr 21. Mär 2014, 03:27

@RM Das meine ich ja. Es ist wie die Frage, ob du 2000 € oder 3000 € monatliches Einkommen hast, und man vergißt die Ausdrücke “brutto” und “netto”. Eine geschlossene Silbe, ja was ist das? Eine vor oder nach dichterischer Sonderbehandlung? Deshalb sage ich, daß man die Termini nach Thematik trennen sollte:
a) In klassischen Dichtung sprechen wir von langen und kurzen Silben, auch von positionslangen Silben. Aber die Termini “offene” Silbe und “geschlossene” Silbe gehören hier nicht hin.
b) Prosaische Aussprache beschreiben wir mit offenen und kurzen Silben. Aber die Termini “lange” und “kurze” Silben gehören hier nicht hin.
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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon RM » Fr 21. Mär 2014, 09:47

@Laptop:
1. Lateinische und sonstige Dichtung hat z. Zt. wenig mit meinem monatlichen Einkommen zu tun :wink:
2. Es gibt keinen grundsätzlichen Unterschied in der Aussprache von Prosa und Dichtung, es gibt insbesondere keine grundsätzliche Differenz zwischen "prosaischer" und "poetischer" Aussprache.
3. Was hat das mit "restat" zu tun?

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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon Laptop » Fr 21. Mär 2014, 16:19

@RM Der grundsätzliche Unterschied ist, daß die Silbentrennung oft in der Dichtung eine andere ist. Prosaisch haben wir keine Optionen, poetisch haben wir Optionen. Z. B. auch in restat, denn prosaisch wird re·stat getrennt.
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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon ille ego qui » Fr 21. Mär 2014, 17:39

a) In klassischen Dichtung sprechen wir von langen und kurzen Silben, auch von positionslangen Silben. Aber die Termini “offene” Silbe und “geschlossene” Silbe gehören hier nicht hin.
b) Prosaische Aussprache beschreiben wir mit offenen und kurzen Silben. Aber die Termini “lange” und “kurze” Silben gehören hier nicht hin.

Salve, amice!
Wie kommst du denn auf diese Gedanken? Und wer ist "wir"? Natürlich kann man für die Prosa genauso von langen und kurzen Silben sprechen (was sich alleine schon in den Klauseln zeigt). Wie kommst du auf dichterische Sonderbehandlung? Natürlich werden die Worte so gewählt und gestellt, dass Längen und Kürzen ein regelmäßiges Muster ergeben - und auf diese Weise einen Rhythmus -, aber das ist ja in der deutschen Poesie genauso (mutati mutandis: nicht Quantitäten, sondern betonte und unbetonte Silben). Auch eine Rede Ciceros könnte man mit Längen- und Kürzenzeichen versehen. Diese deutliche Differenz der Silbenquantität beim Vortrag auch von Prosa - und natürlich auch dort über Wortgrenzen hinweg - zum Ausdruck zu bringen, wird heute (leider) selten versucht; man kann sich schon freuen, wenn die Vokale(!) mit einigermaßen korrekter Quantität ausgesprochen werden. Einigermaßen gelungene Beispiele gibt es dennoch (wie du weißt), und eine Bemühung um größere Exaktheit in diesem Bereich lohnt sich.
vale :-)
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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon RM » Fr 21. Mär 2014, 17:46

Laptop hat geschrieben:Z. B. auch in restat, denn prosaisch wird re·stat getrennt.

Dazu sage ich jetzt mal lieber nichts. :-D

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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon ille ego qui » Fr 21. Mär 2014, 17:47

@RM Der grundsätzliche Unterschied ist, daß die Silbentrennung oft in der Dichtung eine andere ist. Prosaisch haben wir keine Optionen, poetisch haben wir Optionen. Z. B. auch in restat, denn prosaisch wird re·stat getrennt.


Nun, die Römer kannten wohl keine Silbentrennung - so dass wir auch nicht sagen können, wie sie getrennt hätten ;) (die Prosaausgaben verfahren so, wie du sagst, aber das heißt natürlich nichts.)
Letztlich ist die Frage natürlich eine sehr, sehr theoretische, wie "prosaisch" getrennt wird. Man darf aber Morphologie (re+stat) nicht mit Silbentrennung und Aussprache automatisch gleichsetzen.
Da es in der Poesie, soweit ich sehe, im Wortinneren IMMER so ist, wie es RM mit seinem Beispiel gezeigt hat (fl und fr fallen hier wohl weitgehend raus), liegt es nahe, zu vermuten, dass die Aussprache in Prosa auch so gewesen wäre. Vielleicht in etwa so (entschuldigt die etwas alberne Transkriptionsweise):
resss(-?)tat ;-)
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Re: geschlossene Silbe = positionslange Silbe?

Beitragvon consus » Fr 21. Mär 2014, 21:47

ille ego qui hat geschrieben:...Nun, die Römer kannten wohl keine Silbentrennung ...
Oro te, amice, legas quid Leumann-Hofmann-Szantyr (Lat. Gramm. vol. I, Monaci 1977, p. 22) scripserint.
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