"Modalverben"

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Re: "Modalverben"

Beitragvon Prudentius » Fr 31. Mai 2013, 10:26

is [Romulus] igitur, ut natus sit, cum Remo fratre dicitur ab Amulio, rege Albano, ob labefactandi regni timorem ad Tiberim exponi iussus esse; de re publica 2,4


Cari sodales,

bei so schwierigen Fragen kann man verschiedene Ansätze erproben, wir sind ja pluralistisch; lieber Willimox, auf jeden Fall hat deine linguistische Sicht viel für sich, ich sehe es jetzt anders als am Anfang, ich meine den Schlüssel in der "Satzphysik", der Mechanik der Bindekräfte des Satzes, Kasusrektion und Kongruenz, gefunden zu haben; (ich betrachte lieber obiges Beispiel, nicht das verkorkste von Pinkster).

Dieser Satz ist dreifach gestaffelt: dicitur - iussus esse - exponi, das Hauptprädikat steht in der Mitte, die beiden anderen am Ende; alle drei Teilsätze haben dasselbe Subjekt, das am Anfang steht; aber die Hauptsache: der Nominativ als Kongruenzklammer hält den Satz von vorn bis hinten zusammen; das ganze wird dadurch ermöglicht, dass die drei transitiven Verben dicere, iubere, exponere eine Umsetzung ins Passiv und damit eine durchgehende, einheitliche Satzstruktur ermöglichen.
Das Besondere daran erkennt man an der Übersetzung; bei uns geht es so: "Es wird gesagt, dass befohlen wurde, dass Romulus ausgesetzt werden solle". Wir haben hier das Baukastensystem, ein Teilsatz neben dem anderen, eine lose Verknüpfung, der Satz fällt auseinander.


Ich bin überzeugt ... dass deine Kollegen dein breit gefächertes Wissen und Deine "Forschung" sehr schätzen!


auf jeden Fall, lieber Iosci, das hindert uns aber nicht, auf die Linguistik auch einen kritischen Blick zu werfen; ich hab zwar nicht genug gelesen und zu wenig Speicherplatz im Hirn, aber ich würde mal eine etwas pauschale Einschätzung wagen: in der Grammatik gibt es große Logik- und Modernitätsdefizite, aber die Linguistik bietet nicht viel zu ihrer Behebung. Bsp. der Wahrheitsbegriff mit der w/f-Dualität, kommt nicht vor; Pronomen als Variable, oder als Input, Parameter, Eingabefeld; Relationen, Funktionen; "non" gilt als Adverb; Zusammenhang von Konditional-Kausal-Irreal, Quantoren als Indefinita verkleidet.
Andererseits führen die Linguisten viele neue Begriffe ein, am bekanntesten vllt. die "Valenzen", aber als Neuprägung gerät man gleich in die Sackgasse, denn so ein Begriff ist ja mit nichts vernetzt; hätten sie von "Leerstellen" oder mehrstelligen Relationen gesprochen, dann hätte man ein weites Feld vor sich, um den Begrifff einzuordnen. Auch die "Leichtgewichte" sein, können, müssen finde ich hier unterschätzt.

Ich kann jetzt nur auf den gnädigen Leser hoffen
und grüße euch herzlich,

euer P. :)
Prudentius
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Re: "Modalverben"

Beitragvon Willimox » Do 13. Jun 2013, 13:04

Salvete!

@ Ioscius
Wird man hingegen schon bei aktivischem Prädikat z.B Portam aperiri veto diese erweiterte Bedeutung anwenden - "Ich befehle der Tür, geöffnet zu werden"- dann ergibt natürlich auch der NcI bezüglich seiner syntaktischen Konstruktion, einen SInn: Porta aperiri vetita est.


Eine schulpraktische, auch allgemeinpragmatische Überlegung, marginal:

ein lateinisches adiuvare aliquem wird man recht gut mit jemanden unterstützen ..... jemandem helfen lernen( lassen). Dann ist die Valenz in Start und Zielsprache vergleichbar: Das Akkusativobjekt ist deutlich markiert.

Bei iubere und vetare scheint es nicht dumm zu sein - auch - eine Formulierung anzusetzen wie "jemanden oder etwas mit einem Befehl belegen" - "jemanden oder etwas mit einem Verbot belegen". Das kann dann den menschlichen Befehlsempfänger oder auch einen Gegenstand oder einen unmündigen Aktanten (man vgl. Romulus als Kind und Opfer einer Aussetzung oder das Verbot, eine Tür zu öffnen) mit in den Spielplan der Grundbedeutung nehmen.

@Prudentius
...aber die Linguistik bietet nicht viel zu ihrer Behebung. Bsp. der Wahrheitsbegriff mit der w/f-Dualität, kommt nicht vor; Pronomen als Variable, oder als Input, Parameter, Eingabefeld; Relationen, Funktionen; "non" gilt als Adverb; Zusammenhang von Konditional-Kausal-Irreal, Quantoren als Indefinita verkleidet.
Andererseits führen die Linguisten viele neue Begriffe ein, am bekanntesten vllt. die "Valenzen", aber als Neuprägung gerät man gleich in die Sackgasse, denn so ein Begriff ist ja mit nichts vernetzt; hätten sie von "Leerstellen" oder mehrstelligen Relationen gesprochen, dann hätte man ein weites Feld vor sich, um den Begrifff einzuordnen. Auch die "Leichtgewichte" sein, können, müssen finde ich hier unterschätzt.


Nun ja, in der Valenzgrammatik, die gar nicht neu oder gar ohne nachvollziehbare Basis ist, kann die eher unfruchtbare, zeittötende Unterscheidung bei fakultativen und obligatorischen Ergänzungen nerven - Happ ist nicht ohne Grund in der Grammatikdiskussion eher untergegangen, unsere WBG Übersetzung der Touratier-Grammatik mag da auch noch keine rechten Meriten bringen.... - und die Unterscheidung Adverbiale/Angabe ist ähnlich belastet.

Die Modalverben sind natürlich ungeheuer interessant in ihrer Semantik, insofern sie den Wirklichkeitsgrad einer Aussage profilieren können. Das ändert nichts daran, dass sie insofern Leichtgewichte sind, als sie semantisch weniger spezifisch wirken als etwa ein Vollverb wie "jagen". Wohl aber semantisch voller als die Kopula "sein" in ihrer Zuordnungsfunktion.

Was die Logik und ihre Interferenz mit Grammatiktheorien betrifft: Die Ansätze deiner Dissertation sind ganz gewiss keineswegs randständig in der Grammatikdiskussion seit 1990. MAN DENKE ETWA AN DAS mONUMENTALWERK von Gisela Zifonun, hier ein schmankerlartiges ;-) Stück, darin dann ( Zifonun) 1775ff

http://books.google.de/books?id=yMg4T_vceI0C&pg=PA1722&hl=de&source=gbs_toc_r&cad=4#v=onepage&q&f=false

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Valete!
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Re: "Modalverben"

Beitragvon Prudentius » Fr 14. Jun 2013, 16:30

die Linguistik bietet nicht viel zu ihrer Behebung.


Hallo Willimox,
ich meine es so: bei dir bleiben diese Verben als undifferenzierte Gruppe stehen, mit Hilfe der Logik kann ich sie aber profilieren, ihr Zusammenspiel untersuchen, ihren Zusammenhang mit anderen Gebieten herausarbeiten.
Müssen und können stehen in einem besonderen Zusammenhang; ich brauche dazu aber einen ganzen Satz:
"A muss B sein",
das kann man umkehren:
"B kann A sein".
("Ein Japaner muss Asiate sein" - "Ein Asiate kann Japaner sein").
Und beide Sätze zusammen bedeuten das gleiche wie:
"Wenn A, dann B", also ein Konditionalsatz.
Das ganz kann man sich mit einem einfachen Diagramm veranschaulichen; ein Kreis A, und um ihn herum ein größerer Kreis B; dann sieht man leicht, dass jeder Punkt in A auch in B sein muss, usw.
Dann sind noch diese Wendungen nützlich: "A ist hinreichend für B", "B ist notwendig für A".

Wenn Schülern das beigebracht werden kann, dann haben sie wirklich was von den Hilfsverben verstanden. Wenn..., das ist die Frage; ich glaube, wir mit unserer Linguistik und Logik bleiben Mauerblümchen :-D , ich versuche jedenfalls mit meiner Taschenlampe, die Nacht zu erhellen :-D ,

Gruß P. :)
Prudentius
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Herzerwärmender Fund: iubere/heißen

Beitragvon Willimox » Fr 21. Jun 2013, 09:26

Motto:
Zum einen ist vetare im L ja mit Akk., aber im D "verbieten" leider nicht. Solche "gewagten" NcIs oder andere Inf-Konstr. haben uns schon einmal sehr beschäftigt, siehe den entspr. Thread Verba iubendi...
Sokrates


Verbum linguae Germanicae "heißen" - Corda et mentes Grammaticorum laetificans!

Hieß Happel Hrubesch die Dose erneut ... zu stellen.

Ja, das "hieß" weckt Erinnerungen an vergangene Lateinstunden.
Als wir "iubere" mit "heißen" übersetzen sollten.
Ein Akkusativ beim deutschen Pendant zu "iubere", ähnlich lateinnah wie "jemand beauftragen":
Aber viel altdeutscher.
Der Semantikträger schreitet einher in klassischem , brokatenen Sprachgewandt (sic). :chefren:

Quelle?
Hier murmelt sie im SZ-Magazin, fröhlich.

Der verstorbene österreichische Trainer Ernst Happel, schon zu Lebzeiten eine Legende , ließ am ersten Trainingstag 1981 beim Hamburger Sportverein den Stürmer Hrubesch eine leere Coladose aufs Latteneck des Tores stellen, nahm einen Ball und schoss die Dose aus zwanzig Metern Entfernung herunter. Dann sagte er: »Nachmachen!«
Nur ein einziger Spieler vermochte das: Franz Beckenbauer, der damals im Herbst seiner Karriere tatsächlich für den HSV spielte und mit ihm auch Meister wurde.
Als alle Spieler es versucht hatten, hieß Happel Hrubesch, die Dose erneut aufs Tor zu stellen – und schoss sie wieder herunter.

Axel Hacke SZ MAGAZIN 21. Juni; S. 42


Bild

Anmerkungen:

Der Beiname "Aschyl" mag Klassisches evozieren. Allerdings gilt: Während einer Tournee Anfang der 1950er sahen die Rapidler in Istanbul einen türkischen Film, in dem ein Haremswächter namens „Aschyl“ auftauchte, der Happel zum Verwechseln ähnlich sah.

Horst Hrubesch wurde heute zum Trainer der deutschen Jungfußballnationalmannschaft ernannt, der U 21


Bonus-Track:

Fußball ist ein sehr weises und wunderschönes Spiel. Das Geheimnis des Fußballs ist Zeit, Raum und Täuschung. Wie im Leben. Mit der Zeit umgehen, Räume finden und mit der Täuschung zurechtkommen.

Cesar Luis Menotti, SZ Magazin (s.o.), S. 19


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Re: "Modalverben"

Beitragvon Ioscius » Di 20. Mai 2014, 15:14

Mir ist bezüglich des Subjekt Raising eine "Auffälligkeit aufgefallen" - da Willimox davon gesprochen hat (ist er noch im Forum aktiv?), ist diese Frage insbesondere an ihn gerichtet - die Meinung der anderen Mitgleider ist selbstverständlich auch sehr erwünscht:

Wir haben gesehen, dass gewisse Konstruktionen auch im Passiv persönlich konstruiert werden - gegen die Logik:

Das Bett muss repariert werden.
Schola frequentari solet / incipit.
Das Problem kann angesprochen werden

(ähnlich bei Nichtmodalverben die Verba iubendi: Porta intrari vetita est)

Weder die Schule pflegt etwas zu tun, noch ist das Problem zu irgendetwas selbst in der Lage.
Gegen die Logik ist das Entsprechende Substantiv Subjekt. (bei incipere[/i 9 ist diese unlogische Konstruktion interessanterweise nicht nachahmbar und somit vllt. nicht als Modalvverb empfunden)

Bei den Werben des Wollens sieht das doch anders aus:

[i]Der Junge will gelobt werden.

Ὁ παῖς ἐπαινεῖσθαι βούλεται/ ἐπιθυμεῖ.
Puer laudari vult.


Hier steckt doch wirklich eine innere Beteiligung im Subjekt! (im gegensatz zu bspw.: "Das Fahrrad will repariert sein!")

Wie seht ihr das? Meine These ist: Das Verb wollen ist das einzige, bei dem ein passiver Infinitiv nicht im SInne des Subject Raising zu verstehen ist.
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