präsente Grammatik

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präsente Grammatik

Beitragvon sinemetu » So 27. Dez 2020, 10:40

Verlieren und Verlust sind zwei Worte zu einem Stamm. Die übergroße Mehrheit der deutsch Sprechenden heute versteht die beiden Worte und würde sie nebeneinander stellen, auch ohne den Konsonatenwandel (Rotazismus) überhaupt zu bemerken. Ich führe deshalb einmal den Begriff Stamm mit präsenter Grammatik ein.

Das verhält sich mit dem Wort erkiesen nicht so. Bekannt sind die Worte Kurfürsten, die Kür im Sport, der gekörte Bulle, der Kies als Seife gedacht (Ansammlung ausgewählter Steine einer Größe- DWDS führt keine Etymologie.). Die Worte gehören alle nicht unbedingt dem Hauptwortschatz an, sondern sind Teil von Spezialwortschätzen, obwohl ich sie alle dem "Allgemeinwissen" zuordnen würde. Aber selbst diejenigen, die alle diese Worte kennen und nutzen, würden sie (wofern nicht sprachliches Spezialwissen vorliegt) nicht als zueinandergehörig klassifizieren. Es handelt sich also um einen Stamm ohne präsente Grammatik.
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Re: präsente Grammatik

Beitragvon marcus03 » So 27. Dez 2020, 10:48

kiesen
(veralt. für:) »prüfen, ‹prüfend› wählen«: Das gemeingerm. Verb mhd. kiesen, ahd. kiosan, got. kiusan, engl. to choose, schwed. tjusa (aus aschwed. kjusa) geht mit den Sippen von ↑ Kür und 2↑ kosten auf die idg. Wurzel *g̑eus- »aussuchen, prüfen, schmecken, genießen« zurück. Vgl. aus anderen idg. Sprachen z. B. aind. juṣátē »kostet; genießt; liebt« und griech. geúesthai »kosten; genießen«. Im Dt. wurde das starke Verb kiesen (kor, gekoren) im 17. Jh. durch das von »Kür« abgeleitete »küren« zurückgedrängt.
Es findet sich seitdem nur noch vereinzelt in dichterischer Sprache. Auch die Präfixbildung erkiesen ist heute veraltet. Allerdings ist das 2. Partizip erkoren gebräuchlich, beachte auch auserkoren »auserwählt«.


Herkunft:
[1, 2] seit dem 12. Jahrhundert in der (vor allem oberdeutschen und mitteldeutschen) mittelhochdeutschen Form kis m / n; früher bezeugt ist die Ableitung Kiesel; außergermanisch vergleichen sich (wohl nicht von der gleichen Wurzelerweiterung) litauisch žiezdrà f „Kies, Korn“ und andere baltische Wörter; Grundlage ist also eine (erschlossene) nicht weiter erklärbare indogermanische (osteuropäische) Wurzel *gei-[1]
[3] seit dem 18. Jahrhundert bezeugt; aus dem Rotwelschen über die Studentensprache in die niedere Umgangssprache gelangt; vermutlich mit der Bedeutung „Stein“ aus »Kies«1, 2 übernommen, zunächst in der Bedeutung „Silbergeld“[1]
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Re: präsente Grammatik

Beitragvon sinemetu » So 27. Dez 2020, 11:24

Hallo Marcus 03, wo stammt denn das untere her? Quelle:
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Re: präsente Grammatik

Beitragvon marcus03 » So 27. Dez 2020, 12:08

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Re: präsente Grammatik

Beitragvon sinemetu » Mo 28. Dez 2020, 12:53

marcus03 hat geschrieben:
Herkunft:
[1, 2] seit dem 12. Jahrhundert in der (vor allem oberdeutschen und mitteldeutschen) mittelhochdeutschen Form kis m / n; früher bezeugt ist die Ableitung Kiesel; außergermanisch vergleichen sich (wohl nicht von der gleichen Wurzelerweiterung) litauisch žiezdrà f „Kies, Korn“ und andere baltische Wörter; Grundlage ist also eine (erschlossene) nicht weiter erklärbare indogermanische (osteuropäische) Wurzel *gei-[1]

Wirst Du bei solchen Formulierungen nicht selber stutzig? Warum soll es Dinge geben, die man erklären kann, und Dinge, die nicht? Entweder man kann alles erklären, oder nichts. Erklären heißt doch "in einen Zusammenhang stellen". Der Nicht-Erklärer sollte lieber erklären, warum er den Zusammenhang zu kiesen ablehnt, obwohl ein gut erklärbares, nicht über 3 Ecken gebogenes TC vorliegt. Warum wird in sprachwissenschaftlichen Erläuterungen oft auf Erklärungen zur Nichterklärbarkeit gesetzt, statt auf Argumente, zumal es angebracht scheint. Alle stehen Argumenten offen gegenüber. So eine Erklärung: --- ein Zusammenhang mit der Wurzel xyz zu dt. kiesen wird aus den und den Gründen nicht hergestellt. So eine Nichtvereinbarkeitserklärung sollte bei heterorhizen Homonymen Standard sein. Kommt diese nicht, handelt es sich um Religion, nicht um Wissenschaft.
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Re: präsente Grammatik

Beitragvon marcus03 » Mo 28. Dez 2020, 13:26

sinemetu hat geschrieben:Wirst Du bei solchen Formulierungen nicht selber stutzig?

Nein. irgendwo gibt es immer eine Grenze, über die man nicht hinauskommt.
Es werden sogar Urwurzeln rekonstruiert für die es keine Belege gibt.
Spätestens dann ist Ende Gelände.
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Re: präsente Grammatik

Beitragvon sinemetu » Mo 28. Dez 2020, 14:17

Man hat das in der Wissenschaft ja öfter, Marcus03, daß man was postuliert, und es dann findet, siehe Higgsteilchen, oder das man den Gegenbeweis, führen kann, siehe Ätherthese. Aber daß dort, wo Argumente möglich sind, keine genannt werden, ist doch bedenklich. Was für eine Art von Existenz soll denn eine postulierte Wurzel sein? Mir ist schleierhaft, wie man eine post. Wurzel *g̑eus von einer post. Wurzel *gei- trennen will, wenn man nichts anderes hat, außer zwei Bedeutungen, die man nicht zusammengedacht bekommt, und die man nur deshalb aufrechterhält, weil man glaubt, sie seien den und den Lautverändungen zwingend unterworfen gewesen. Wir wissen aber alle, daß Lautveränderungen nicht zwingend den gesamten Lautbestand einer Sprache erfassen. Es ist dieses Dogma, welches zu diesen Fehlkonstruktionen führt. Dabei bin ich nicht der, der das Kind mit dem Bade ausschüttet, und sagt alle Berufung auf postulierten Lautwandel ist falsch. Aber die Notwendigkeit einer allgemein einsichtigen Begründung, warum ein Autor an der Heterorhizität zweier Wort festhält, sollte festgeschrieben werden. Eine Berufung auf "Nicht-Erklärbarkeit" ist ein Offenbarungseid und Dogmatik, aber keine Wissenschaft.

Die Sprachwissenschaft ist insgesamt überhaupt noch zu machtnahe und das ist ihr Manko, Rechtschreibfragen waren immer Fragen von "nationaler" Bedeutung, bedenken wir doch die Rolle von Sprache bei der Nationwerdung der Völker. In einer europäischen Ordnung sollte dies, allerdings ohne die Aufgabe von Souveränität, entdynamisiert werden. Rechtschreibung kann in einer Republik auch Ordnung generieren, ohne mit Tempeln und Machtkristallisatoren zu kollidieren.
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Re: präsente Grammatik

Beitragvon medicus » Mo 28. Dez 2020, 15:27

sinemetu hat geschrieben:Rechtschreibung kann in einer Republik auch Ordnung generieren,

Du bist aber gegen diese Ordnung, da du konsequent "daß" statt "dass" schreibst. :roll:

https://www.korrekturen.de/wortliste/dass.shtml
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Re: präsente Grammatik

Beitragvon sinemetu » Mo 28. Dez 2020, 15:44

medicus hat geschrieben:
sinemetu hat geschrieben:Rechtschreibung kann in einer Republik auch Ordnung generieren,

Du bist aber gegen diese Ordnung, da

kann man so nicht sagen, sie ändert sich andauernd und ich komm nicht hinterher mit dem Nachjustieren.... und irgendwann verliert sich der Impetus dazu
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Re: präsente Grammatik

Beitragvon medicus » Mo 28. Dez 2020, 16:15

Diese Änderung wird dich erfreuen:
Für den geografischen Namen Pußta sieht das amtliche Wörterverzeichnis nur noch die Schreibweise Puszta vor (z. B. Pusztasalat), die der ungarischen Schreibweise entspricht.


https://de.wikipedia.org/wiki/Reform_de ... esultierte.
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Re: präsente Grammatik

Beitragvon sinemetu » Di 29. Dez 2020, 16:30

Ja, dieser extra Buchstabe war von Beginn an überflüssig, wenn man schon Es-Zett sagt, kann man auch sz schreiben. Nur müßte man jetzt konsequenterweise auch dasz und musz schreiben.
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Re: präsente Grammatik

Beitragvon marcus03 » Do 31. Dez 2020, 09:37

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Re: präsente Grammatik

Beitragvon Zythophilus » Do 31. Dez 2020, 21:02

Im Ungarischen wird die Kombination "sz" verwendet, weil man "s" als "sch" ausspricht. Die adäquate Übertragung wäre heute ein "ss", weil das "ß" nach einer der letzten Reformen in so einem Fall nicht mehr steht. Die Konserven-Hersteller sehen das nicht so eng und sehen das eher konservativ, auch allfällige Bindestriche sind kein Thema https://www.efko.at/media/cache/3d/9b/3 ... b696ba.jpg
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