Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

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Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

Beitragvon ille ego qui » So 31. Jan 2010, 12:19

Salvete sodales,

in älteren deutschen Texten ist es nicht unüblich, dass der Konj. Plusquampferfekt mit "würde" umschrieben, also durch den Konj. (II) des Fut. II ersetzt wird. Beispiel:

"Ich würde nicht so laut geschrien haben, wenn du brav gewesen wärest." (fiktiv)

Kann mir jemand von euch vllt sagen, welche Variante "besser", häufiger war und ob ein Bedeutungs- oder sonstiger Unterschied bestanden hat?

Gespannt
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Re: Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

Beitragvon Apollonios » Mo 1. Feb 2010, 00:59

Deutsch ist eine würde-lose, zumindest aber würde-arme Sprache.
Im Präsens geht es noch so gerade:
Ich würde nicht so laut schreien klingt nicht schön, aber auch nicht falsch. Natürlich ist Ich schriee nicht so laut eleganter! In der gesprochenen Sprache wird man mit solchen Formulierungen vermutlich auffallen.

Aber
Ich würde nicht so laut geschrien haben :cry:
geht gar nicht.

Ich hätte nicht so laut geschrien, wenn du brav gewesen wärest
oder, noch schöner,
Wärest du brav gelesen, hätte ich nicht so laut geschrien.

Alles, was einen Satz - und sei es um ein Wort - verkürzt, ohne seine Aussage zu verändern und ohne grammatische Fehler einzubauen, ist gut.
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Re: Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

Beitragvon Merkur » Mo 1. Feb 2010, 09:02

Ganz so sähe ich das nicht, Apollonios.
Zumal pauschale Aussagen über guten bzw. schlechten Stil nur sehr vorsichtig zu treffen sind.

Alles, was (mit Bedeutung) gefällig ist, scheint mir stilistisch vertretbar.
Und Bedeutung dürte die "würde"-Umschreibung in unserem Bsp schon haben. Ist es nicht schön, die Nachzeitigkeit des Schreien ausdrücken zu können?

"Ich schriee nicht so laut" mag vielleicht durch seine Gestelztheit manchen gefallen, ist aber in der Bedeutung viel unbestimmter (und von daher stilistisch nicht prinzipiell vorzuziehen) als unser "würde"-volles Beispiel.
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Re: Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

Beitragvon ille ego qui » Mo 1. Feb 2010, 10:06

wie gesagt: es findet sich in älteren und durchaus gehobenen Texten nicht selten (gerade in der zeit des alten menge, s.d. ;-))
ich habe nun mal an jemanden gemailt, der es wissen sollte, und werde euch unterrichten, sobald ich antwort habe!
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Re: Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

Beitragvon Apollonios » Mo 1. Feb 2010, 10:22

@Merkur: Wir sind uns schon im Klaren darüber, daß ich über verschiedene Zeiten und Möglichkeiten gesprochen habe und das von Dir besonders kritisierte Beispiel "Ich schrie nicht" nicht als Ausdruck der Nachzeitigkeit gemeint oder vorgeschlagen habe?

Aber "Ich hätte nicht geschrien, wenn du brav gewesen wärest" - ist wirklich eindeutig vorzeitig.

Menge ist übrigens nicht Gott, wenn ich recht informiert bin. Die Formulierung "Ich würde nicht geschrien haben" ist kritisierbar.
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Re: Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

Beitragvon Merkur » Mo 1. Feb 2010, 15:30

Apollonios hat geschrieben:@Merkur: Wir sind uns schon im Klaren darüber, daß ich über verschiedene Zeiten und Möglichkeiten gesprochen habe und das von Dir besonders kritisierte Beispiel "Ich schrie nicht" nicht als Ausdruck der Nachzeitigkeit gemeint oder vorgeschlagen habe?


Ja, sind wir.
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Re: Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

Beitragvon Clemens » Mo 1. Feb 2010, 20:03

Apollonios hat geschrieben:@Merkur: Wir sind uns schon im Klaren darüber, daß ich über verschiedene Zeiten und Möglichkeiten gesprochen habe und das von Dir besonders kritisierte Beispiel "Ich schrie nicht" nicht als Ausdruck der Nachzeitigkeit gemeint oder vorgeschlagen habe?

Aber "Ich hätte nicht geschrien, wenn du brav gewesen wärest" - ist wirklich eindeutig vorzeitig.

Menge ist übrigens nicht Gott, wenn ich recht informiert bin. Die Formulierung "Ich würde nicht geschrien haben" ist kritisierbar.


Auch wenn dein Beitrag beim unbedarften Leser den Eindruck erwecken könnte, dass du dir zwar bei Menges Göttlichkeit und/oder Kritisierbarkeit ziemlich, bei deiner eigenen jedoch nicht ganz so sicher seist, wirst du, was die würde-losigkeit oder würde-armut der deutschen Sprache betrifft, wohl auch nichts gegen den Strom der Zeit ausrichten können, wobei man sich im vorliegenden Beispiel dennoch auf deine Seite stellen muss. ;-)
(Und nur zur Sicherheit: Zweimal lesen und feststellen, dass der Beitrag keine Schärfe beinhaltet. :-))
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Re: Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

Beitragvon ille ego qui » Mo 1. Feb 2010, 21:53

Ist Thomas Mann dann wenigstens ein Sprachgott?!
... ;-)

Ich persönlich gehe aber ohnehin in der Sprache nicht von Göttern, sondern von Sprechern und Sprachwirklichkeit aus. Und ich gehe so weit: Hättet ihr, Apo und Clemens, hundert Jahre früher gelebt - ihr würdet durchaus anders geurteilt haben :-P
Außerdem: Vielleicht existierte ein Unterschied in der Bedeutung und wir bemerken ihn nur nicht (besagter anderer "Gott" hat meine E-Mail noch nicht beantwortet). Wir wollen uns also nicht, befangen in unserer Gewohnheit, vorschnell erheben!

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Re: Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

Beitragvon Clemens » Mo 1. Feb 2010, 23:17

Ich weiß nicht, ich finde an würde-Konstruktionen prinzipiell nichts Verwerfliches. In zeitgenössischem Deutsch auch nicht in stilistischer Hinsicht, auch wenn die älteren Semester das nur restzähneknirschend hinnehmen (was natürlich wie so vieles an der Erziehung liegt ;-)). Ich wollte oben jedenfalls zum Ausdruck bringen, dass die von Apollonios vorgeschlagene Formulierung tadellos und vermutlich in den meisten Fällen auch noch die natürlichere wäre.

Was mich interessieren würde (nicht interessierte ;-)):

Womöglich ist dein Beispiel im ersten Beitrag unglücklich gewählt, das in deinem zweiten Beitrag dafür umso besser: Dort vermeidest du mit der Umschreibung mit würde ein zweites, bestimmt auch nicht gerade wohlklingendes oder gar schönes hätte. Man könnte sich jetzt (meinetwegen bei Thomas Mann, der eine ganz besonders wirksame Waffe gegen Apollonios wäre ;-)) auf die Suche nach solchen Sätzen machen und schauen, ob das zutrifft und man im Gegenzug die Umschreibung bei Sätzen, deren zweites Glied ein wäre enthält, eher nicht antrifft. An einen Bedeutungsunterschied will ich nicht so recht glauben...
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Re: Konjunktiv-Plusquamperfekt-Umschreibung mit "würde" im Dt.

Beitragvon Apollonios » Di 2. Feb 2010, 00:34

Falls das hier so ankam: ich habe nicht vor, die Form würde zu verbieten. Ich finde nur, daß "Ich würde nicht geschrien haben" grauenvoll klingt, "Ich hätte nicht geschrien" aber nicht.
Tatsächlich sind mir Konstruktionen wie die umständliche erste Variante auch viel seltener begegnet, und da ich ziemlich viel mit deutschsprachiger Literatur des 19. Jh. zu tun habe, ist das vielleicht eine Art Antwort auf die Ausgangsfrage.
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