Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

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Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon Medus » Fr 16. Jan 2009, 19:10

Salvete,

weiß jemand, wo ich etwas (sowohl bei Kant selbst als auch bei anderen) zur Auflösung der dritten Antinomie finden kann?

Gruß
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Re: Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon consus » Fr 16. Jan 2009, 21:58

Servus.
Im Netz u. a. http://www.textlog.de/31944.html. Text von Kants KrV (Kritik der reinen Vernunft) mit Inhaltsübersicht auch im Netz zugänglich.
:book:
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Re: Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon Medus » Sa 17. Jan 2009, 20:00

Salve, Conse.

Danke für die Antwort. Ich halte aus der von dir vorgestellten Textpassage folgenden Abschnitt für die Erklärung des zentralen Ansatzes Kants zur Lösung des Problems:

"Während in den beiden mathematischen Antinomien, dogmatisch aufgefaßt, Thesis und Antithesis falsch sind, können sie in den zwei dynamischen Antinomien [zu denen auch die dritte zählt; Anmerkung von mir, Medus] beide wahr sein, nämlich die Thesis als von Dingen an sich gültig, die Antithesis von Erscheinungen, ibid. 9. Abs. II Schlußanmerk. (I 465 ff.—Rc 599 ff.). Der "intelligible Charakter" (s. d.) ist frei, der empirische determiniert (s. Freiheit); die Dinge der Sinnenwelt sind alle zufällig, haben nur eine empirisch bedingte Existenz, während der ganzen Reihe ein nichtempirisches, unbedingt notwendiges Wesen zugrunde liegt, ibid. 9. Abs. III (I 469ff.—Rc 603ff.)"

Kant löst das Problem also indem er den scheinbaren Widerspruch zwischen Thesis und Antithesis aufhebt. Dabei spricht er der Thesis einen "intelligiblen Charakter", der Antithesis einen "empirischen Charakter" zu. Der Intelligible ist transzendental frei, der Empirische determiniert. Somit verbindet Kant Freiheit und Kausalität.

Eine Frage dazu (falls jemand sich da auskennt): Ist diese Lösung philosophiegeschichtlich auf allgemeine Akzeptanz gestoßen oder wurde sie allgemein kritisiert (vor allem in neuerer Zeit)?

Gruß
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Re: Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon juergen » So 18. Jan 2009, 16:43

Es ist zwar schon lange her, daß ich mich mit Kant beschäftigt habe, doch meine ich, daß die "Lösung" nicht so einfach ist.

Interessant scheint hier m.E. auch der Abschnitt "Von dem Interesser der Vernuft bei diesem ihrem Widerstreite" zu sein.
Gegen Ende schreibt Kant (A475|B503)
...so würde ein solcher...in einem unaufhörlich schwankendem Zustand sein. Heute würde es ihm überzeugend vorkommen, der menschliche Wille sei frei; morgen, wenn er die unauflösliche Naturkette in Betracht zöge, würde er dafür halten, die Freiheit sei nichts als Selbsttäuschung.
Solange sich der Mensch also auf rein intellektuellem Wege mit den Dingen auseinandersetze, schwankt er zwischen beiden Positionen. Wenn er sich aber entscheiden muß, weil er zur Tat schreitet, so ändert sich dies:
Wenn es nun aber zum tun und Handeln käme, so würde dieses Spiel der bloß spekulativen Vernunft, wie Schattenbilder eines Traums, verschwinden, und er würde seine Prinzipien bloß nach dem praktischen Interesse wählen...

M.E. liegt hier der Knackpunkt. Es geht im Handeln immer um zwei Dingen, die so miteinander verschränkt sind, daß weder das eine noch der andere in Reinform erscheinen. Es geht um Wahrheit und Interesse. Die Wahrheit tritt nie alleine - also ohne Interesse - auf, da sie selbst ein Interesse daran hat, als Wahrheit zu erscheinen und das Interesse tritt nicht ohne Wahrheit auf, da ihm auch der Wunsch inneliegt, als Wahrheit zu erscheinen.

Als weiterführende Literatur zu dem Komplex könnte man einen Blick in folgende beiden Bücher werfen:
Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse.
Dieter Hattrup: Die Wirklichkeitsfalle.
Gruß Jürgen

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Re: Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon consus » So 18. Jan 2009, 22:06

Servus, Medus.
Eine Anmerkung in Kurzform: Wenn Kant an den streng gesetzmäßigen Folgezusammenhang von Ursache und Wirkung in der empirisch wahrnehmbaren Welt denkt, steht er im Banne der Newtonschen Physik. Nun haben aber die Ergebnisse der quantenmechanischen Forschung der modernen Physik gezeigt, dass im Bereich kleinster Teilchen Vorgänge nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit abzulaufen scheinen und damit in Bezug auf sie nicht mehr von strenger Kausalität die Rede sein kann. Über die Konsequenzen für die Auseinandersetzung mit Kant mag man nun nachdenken...
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Re: Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon juergen » Mo 19. Jan 2009, 01:17

consus hat geschrieben:...nicht mehr von strenger Kausalität die Rede sein kann...

Ich würde es zwar auch vorerst so sehen, doch einige Wissenschaftler meinen eher das Gegenteil. Die Suche nach einer "allumfassenden Theorie" ist ja gerade die Suche nach Kausalität. Ich würde sogar so weit gehen, daß z.B. grandiose Wissenschaftler wie Hawkings genau dieser Idee erlegen sind. Die Versuchung ist zu groß "alles" erklären und ableiten zu wollen. --- Aber wir schweifen ab....
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Re: Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon Medus » Mo 19. Jan 2009, 17:52

ad juergen: Die von dir angegeben Textstellen sagen m. E. lediglich aus, dass nach Kants Auffassung die menschliche Vernunft so gestrickt ist, dass sie sich situativ-intuitiv verhält. Der Mensch schwankt immer wieder zwischen den beiden in der dritten Antinomie vorgestellten Auffassungen, das liegt sozusagen in seiner Natur oder besser: in der Natur der Vernunft.

Kants eigentlicher Lösungsansatz der Antinomie besteht jedoch tatsächlich darin, sowohl These als auch Antithese der Antinomie zu verbinden, also Freiheit und Determinismus zusammenzubringen:

[…] können Satz und Gegensatz auch weniger enthalten, als zur logischen Entgegensetzung erfordert wird und so beide wahr sein — wie in der Logik zwei einander bloß durch Verschiedenheit der Subjekte entgegengesetzte Urteile (judicia subcontraria) —, wie dieses mit der Antinomie der dynamischen Grundsätze sich in der Tat so verhält, wenn nämlich das Subjekt der entgegengesetzten Urteile in beiden in verschiedener Bedeutung genommen wird […]


Die verschiedenen Bedeutungen finden sich in der oben vorgestellten Unterscheidung von „intelligiblem Charakter“ und „empirischen Charackter“.

ad consus: Ein natürlich bei der Betrachtung dieser Antinomie interessanter Gedanke. Jedoch bleibt nicht nur juergens Einwand zu berücksichtigen, sondern auch die Frage, ob dieses tatsächlich Kants Argumentation gefährdet. Oder ist es vielmehr möglich einfach den Mikrokosmos auszuklammern und Kants Argumentation rein auf den Makrokosmos zu beziehen? Oder würde man dadurch einen logischen Fehler begehen?
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Re: Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon Clemens » Mo 19. Jan 2009, 19:35

Ich möchte nur anmerken, dass ich den Eindruck habe, dass ihr die Physik bestreffend Kausalität und Determinismus vermengt.
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Re: Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon juergen » Mo 19. Jan 2009, 20:01

Clemens hat geschrieben:Ich möchte nur anmerken, dass ich den Eindruck habe, dass ihr die Physik bestreffend Kausalität und Determinismus vermengt.

Ich behaupte einfach mal: sowohl Kausalität als auch Determinismus sind sowieso streng genommen keine Kategorien der Physik.
Gruß Jürgen

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Re: Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon Clemens » Mo 19. Jan 2009, 20:18

Na ja, das müsste man sicher genauer ausdiskutieren, aber da die Interpretation unserer Gleichungen, wenn wir sie einmal aufgestellt haben, durchaus auch in unseren Geschäftsbereich fällt, müsste man es da schon sehr streng nehmen. Vor allem wüsste ich nicht, wer es sonst tun sollte, denn ohne eine gründliche Vorbildung (die praktisch wieder einer Ausbildung zum Physiker entspräche) kommt dabei sicher nichts Sinnvolles heraus.
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Re: Kants dritte Antinomie der reinen Vernunft

Beitragvon Medus » Mo 19. Jan 2009, 20:51

Tatsächlich sollte man nicht Determinismus und Kausalität gleichsetzen wie das zum Ende meines zweiten Beitrages – wie ich gerade merke – geschehen ist (wo ich der Freiheit anstatt des Determinismus die Kausalität gegenüberstelle). Aber so fatal ist das nicht, man versteht trotzdem die Argumentation.
Kausalität ist ein Bestandteil des Determinismus. Und im Sinne Kants ist dabei eine unendliche Kausalkette gleichzeitig determiniert.
Außer in diesem meinen zweiten Beitrag sehe ich allerdings nirgends eine Vermengung der beiden Begriffe.
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