Die wichtigsten Errungenschaften der Menschheit

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Beitragvon consus » Sa 8. Nov 2008, 17:51

Man gestatte mir eine kleine nicht bierernste Nebenbemerkung zu Zythophilens Hinweis auf die köstliche Errungenschaft Bier:
Im kölnischen Dialekt versteht man unter einer Kläävbotz („Klebhose“) einen lästigen Menschen, der sich partout nicht von seinem Sitz erheben will, um endlich einmal zu gehen.
Bei einer Brauereibesichtigung wurde mir der Begriff erklärt. Um die Qualität des Bieres zu prüfen, wurden in früheren Zeiten einige Liter über eine hölzerne Bank gegossen, und Brauereibedienstete mussten sich mit ihren ledernen Hosen darauf setzen. Wenn sie beim Aufstehen die Bank mit erhoben, weil sie an ihren Hosen festklebte, dann war das Bier in Ordnung. So viel zur Förderung der Sesshaftigkeit durch das Bier...
:grins:
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Beitragvon Zythophilus » Sa 8. Nov 2008, 18:20

Abgesehen von der den scherzhaften Zügen klingt die Vorstellung, dass der Mensch, um einen ständigen Vorrat an alkoholischen Getränken zu haben, sesshaft wurde, doch recht plausibel.
Stellen wir uns den Alltag eines typischen Steinzeitmenschen vor, der über wenig Freizeit verfügt: Die Jagd auf den Säbelzahntiger ist für eine normale Freizeitbeschäftigung doch etwas gefährlich, außerdem gehört Jagd noch immer zum Berufsbild. Auch den Nachbarn kann man nicht dauernd überfallen, selbst wenn man ein aggressiver Steinzeitler ist. Fußball ist noch gänzlich unbekannt, das Fernsehen wird erst in ein paar tausend Jahren erfunden werden und die Steinzeitfrau hat bestimmt auch manchmal Migräne; da tut es gut zu wissen, dass zumindest die Bierversorgung klappt und man sich nach der Mammutjagd einen hinter die Höhlenbärfellbinde gießen kann und, wenn man Glück hat, im Rauschzustand sogar mit höheren Mächten zu kommunizieren vermag. Der moderne Mensch hat ja eher Angst vor den höheren Mächten, wenn er ihnen alkoholisiert am Steuer seines Autos begegnet ...
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Trunk und Sesshaftigkeit

Beitragvon Willimox » Sa 8. Nov 2008, 20:47

Trunk und Sesshaftigkeit

Mir scheinen in diesem Zusammenhang, nach Lektüre der ernsthaft-launigen Kommentare von Apoll, Zytho und Consus, einige weitere Konjunktionen von Sesshaftigkeit und Alkohol recht bedenkenswert.
Möge RM das gewisse Abgleiten in komische Untíefen nicht übelnehmen.

Mythische Konfigurationen

Der Volksmund etwa weiß: Der Teufel hat den Schnaps gemacht und auch das Ding mit der Schlange im Paradies geht auf sein Konto. Also gibt es einen mythischen Background für die Sesshaftigk- und Trunkenheit: Einerseits eine archaische Erinnerung an das sesshafte, arbeitsferne Leben im Paradies. Andererseits das arbeitsreiche, sesshafte Leben als schrecklicher Preis für die superbia des Geschöpfes, das so werden will wie der Schöpfer. Und daher weiß das Geschöpf die arbeitsfreie Zeit zu feiern, mit göttlichem Nektar. Und zum dritten die Ambivalenz des alkoholischen Getränkes - es vermag das Bewusstsein zu erweitern, es vermag, das Bewusstsein zu verengen. Es vermag den Menschen zum Gott fern von aller Arbeit zu machen, aber auch zum Tier, das auf allen Vieren kriecht. Diabolisch-divin, nicht nur der Gin.

Crapulogie


Mit der alkoholbedingten Bodenhaftung kommen wir zu einem der wichtigeren Aspekte in der Aufhellung der trunkverknüpften Sesshaftigkeit, es geht um den Kater. Der Crapuloge forscht in diesem Bereich, er untersucht das entsprechende Leidensbild: Vertigo, Nausea und pulsierende Cephalgie, wie der Mediziner Schwindel, Übelkeit und Schädelweh bezeichnet.

Verstorbene Größen wären gewiss sehr viel früher gestorben, hätten sie ihren Kater nicht - geschützt an geeigneter fester Stätte - ausschlafen können. Sir Winston konnte unglaubliche Mengen an Cognac (Fuselanteil: 0,24 Prozent) katerarm verzechen, lag aber nach Genuß von Wodka (Begleitstoffanteil: 0,01 Prozent) stets schwer darnieder. Die Königinmutter andererseits trank ihren Gin (Fuselanteil: 0,04 Prozent) groß, pur und folgenlos, migränierte jedoch auf Wein (Fuselanteil ebenfalls nur 0,04 Prozent). Margarete, Regentin der Dänen, schließlich vertrug Cognac in churchillesken Mengen; nach dem Konsum von Whisky jedoch (Begleitstoffanteil: 0,16 Prozent) empfand sie sich als caduca .

Regenten sind Garanten für Kontinuität und sind Identifikationsfiguren, alles notwendige Voraussetzungen für das Blühen sesshafter Gesellschaften. (Man vergleiche dazu die Ausführungen von Henry Glass.)

Fülle des Lexikons

Für die Wichtigkeit des Katers im Zusammenhang mit Sesshaftigkeit und Zivilisation spricht gewiss auch der Reichtum an Bezeichnungen, mit denen Völker und ihre kulturell wichtigen Instanzen das Phänomen zu erfassen suchen. Und zwar jeweils in ihrem tribalen Bezirk, also oft unter Abgrenzung von fremden Gemeinschaften. Andererseits kann die lingua Franca Latein universal das Phänomen angehen.

Ein Beispiel hoch elaborierter Katerbeschreibung findet sich bei Zythophilus, er trinkt offensichtlich kaum Wein, also erst recht keine Plörre von Typ Château Gicht. Gewiss aber liegt dem folgenden Zweizeiler Alkoholkonsum zugrunde, respektive voraus. Und auch eine bemerkenswerte Zuversicht. Das lyrische Ich zweifelt nicht oder kaum, jedenfalls nur bedingt, an der Identität von Ort (Heimstatt), korrekter Funktion des technischen Hilfsmittels (Spiegel) und Identität der Person. die ihn da aus dem Spiegel anblickt. Auf jeden Fall aber ist zu konstatieren: Resistenz des lyrischen Subjektes in und wegen der vorgefundenen Residenz. Auch wird hier die oft geäußerte These begreifbar, ein literarisches argumentum ad oculos, dass nur Dichter sein kann und somit kulturell wirksam, wer das Leid kennt, in welchen Schattierungen auch immer.

Zythophilus hat geschrieben:
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Mane uidens speculum miror: "Pol, cuius imago?"
 Quamquam nescio eum, tum tamen ora lauo.


In Frankreich heißt der Kater "gueule de bois" (hölzernes Maul) , in Spanien und Italien ist man anfällig für "resaca" (Meeresbrandung) respektive "stonato"-Sein. Die Ikea-Leute sprechen von "baksmälla" (Rückschlag), die Norweger von "Zimmermännern" (jeg har tømmermenn) im Haupte. Bayern kennen keinen "Kater" (preußisch), sie haben einen "Suri". Die Österreicher übrigens auch.

Remeduren gegen Suri

Kulturell interessant die von Experten angebotenen Remedia, gewiss nur in einer intakten Zivilisation zu finden: z.B. eine Prise N-Acethylcystein (NAC), das es auch als Ökoarznei im Bioladen gibt und Schleim flüssiger machend das Abhusten erleichtert. Die Römer pflegten nach "abusus in Baccho" frische Euleneier zu essen, die ebenso reich an NAC sind wie der Krötenlaich, auf den sich die alten Germanen verließen.

Allergisch reagierten alle zivilisatorischen Schichten von Trinkern in allen Heimstätten dieser Welt auf ein probates, puritanisches Mittel: man bekämpfte und bekämpft all die mit Verve und Erfolg, welche -fies genug - das fordern, was nur phasenweise funktioniert: Abstinenz. Wohin das bei denen führt, die sich daran halten, das zeigt sich - sapienti sat - bei Gotteskriegern mit Abstinenzabusus genauso wie bei paganen Führerfiguren mit vegetarisch-antialkoholischem Habitus.

Exploratives Verhalten unter Alkohol

Auch und gerade unter Alkoholeinfluss wird eine genuine Fähigkeit des Menschen befördert, die er mit dem Tier gemeinsam hat, aber in einer ganz anderen Intensität nützt, das explorative Verhalten an vertrautem Ort.

So liest man in einschlägiger Literatur von englischen Trinkern, die von Brücken auf die Oberleitungen der Eisenbahnen herunterharnen, nur um herauszufinden, ob was dran ist, wenn "Strom" dransteht.

Dass dem so ist - so finden wir bei Henry Glass - musste auch der Brite erfahren, der mit seinem Buddy um zwölf Biere gewettet hatte, dass Oberleitungen keinen Strom führen, wenn der Zug im Bahnhof steht. "Ihm bleibt als einziger Trost", kommentierte mit levitatorischem Humor der Polizeibericht, "dass er die Wette nicht mehr bezahlen muss."


Valete
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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 12:27

SALVETE
Auch der Österreicher kennt den "Kater", während der "Suri" - zumindest dem Namen nach - mir bis dato unbekannt gewesen ist. Dennoch muss ich darauf bestehen, dass vom poetischen Ich nicht grundsätzlich auf die Person des Dichters geschlossen werden darf. Willimoxens kulturtheoretischen Äußerungen kann ich freilich nur beipflichten, werde mich also bei Oberleitungen zurückhalten.

Die Idee der Sesshaftwerdung verdient ob ihrer Wichtigkeit eine längere Behandlung in Hexametern (gewissermaßen als Ergänzung zum 1. Buch der Metamorphosen), der Sonntagvormittag lässt freilich nur ein paar Disticha zu.
Die Bedeutung der Waschmaschine wird in einem eigenen Epigramm gewürdigt werden. Das Wetter ist trüb, der Nachmittag verlangt daher nach Zerstreuung.

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"Sedibus in fixis, effecit cultus agrorum,
 ut stabularet homo semina dura legens.
Panis causa fuit granique alimenta refracti."
 Culta putas faciles arua parasse cibos.
Altera causa fuit, nec detulit ante uagatis
 uenatisque feras arua domusque fames.
Curnam coepit homo loca priscus quaerere fixa
 et serere in sulcos semina prima sator?
Cum foret esca homini, ceruisia defuit alma:
 Sobria - uae! - miseris tempora agenda uiris.
Vt calices secum Cereales semper haberent,
 instituunt cultum: Maxima causa sitis!
Quis dubitet, quin det nobis ceruisia cultum?
 Sed potu pereat cultus et ipse licet.


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Ein "Dulliäh" auf den Trunkkult

Beitragvon Willimox » So 9. Nov 2008, 14:25

Ein "Dulliäh" auf das Lehrgedicht zum Trunkkult

Carissime, politissime Zythophile!

Kritische Würdigung

Dichtung, wahre Dichtung ernstnehmen, heißt auch: sie durchdenken. Daher Anmerkungen zu dem, was keine Kosmogenie ist, wohl aber ein Lehrgedicht und damit in ehrwürdiger Tradition stehend.

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"Sedibus in fixis, effecit cultus agrorum,
 ut stabularet homo semina dura legens.
Panis causa fuit granique alimenta refracti."
 Culta putas faciles arua parasse cibos.
Altera causa fuit, nec detulit ante uagatis
 uenatisque feras arua domusque fames.
Curnam coepit homo loca priscus quaerere fixa
 et serere in sulcos semina prima sator?
Cum foret esca homini, ceruisia defuit alma:
 Sobria - uae! - miseris tempora agenda uiris.
Vt calices secum Cereales semper haberent,
 instituunt cultum: Maxima causa sitis!
Quis dubitet, quin det nobis ceruisia cultum?
 Sed potu pereat cultus et ipse licet.


Reichholfs Thesengerüst ist Background für die oben zitierten Distichen. Setzen wir dessen Validität einmal voraus, was besagt Reichholfs Theorie? Auf zwei Sätze komprimiert:

- In einem wildreichen Territorium wurden Urmenschen sesshaft.
- Getreideanbau war in solchen Umfeld nicht nötig für die Nahrung, wohl aber für den cultischen Biertrunk.

Ist, wenn denn diese Theorie poetisch transportiert wird, da der Hexameter

    Cum foret esca homini, ceruisia defuit alma

gut verstehbar?

Das "esca" bezieht auch ein aufgeweckter Leser zunächst wie ein latentes Prädikatsnomen auf die vorige Zeile und sieht dann vielleicht Getreidebrei als Nahrung gesetzt. Obwohl Zeile 5 bis 6 den Überschuss an tierischem Eiweiß signalisieren, wenn auch recht kompliziert gefügt.

Und der Leser wundert sich daher, warum Getreidenahrung das Bierbrauen verhindern soll, wo doch Bier als "flüssige Nahrung" kulturell fixiert ist und die Realität trifft. Eine Stolperstelle also, die manchen, sonst geneigten Leser aussteigen lässt.

Vielleicht könnte der animalische Überfluss und der Überfluss an entsprechender Nahrung expliziter ins poetische Spiel gebracht werden?

Ausblick

Ungewöhnlich schön die Volte des letzten Distichons: Aus der als zweifelsfrei ausgewiesenen These des Kultbieres und seiner Verknüpfung mit Getreidebau und Sesshaftigkeit wird ein fröhlicher Salto abgeleitet:

Mit ihm purzelt über Trinken und Dulliäh (österr. für bayr. "Suri") die vorige Conclusio und argumentatio in eine intellektuelle Nische, die zwar ihre Wertigkeit im kulturwissenschaftlichen Diskurs hat, aber von der Wirklichkeit des genießenden Rausches und dem Bedürfnis der rauschhaften Durststillung transzendiert wird.

Wohl gemerkt: Ohne dadurch "aufgehoben" zu werden, wenn man denn dieses interessante Verb auf eine seiner Bedeutungen, das "Tilgen", reduzieren mag.

Auf die Hexameter (sei es das Thema der Waschmaschine, sei es das Thema des Cerevisia-Kultes behandelnd) warten wir (hoffentlich nicht allzu lang) mit Vorfreude.

Marginales zum lyrischen Subjekt

Auf der poetologischen Ebene scheint mir übrigens die These recht angreifbar, man könne vom lyrischen Ich nicht auf den Autor zurückschließen, wenn sie, was Du nicht tust, strikt formuliert wird.

Wenn nämlich kein ausgewiesenes Rollengedicht oder eine Ballade vorliegt, so vermag gerade die Lyrik mit ihrer Öffnung für anthropologische universale Konstanten (Geburt, Tod, Naturerleben, magische Momente, Glück in Beruf, Freundschaft, Liebe) und für das ereignisarme Stilleben, in welchem die Zeit stillzustehen scheint, jene besondere Nähe von Bild, Leser und Autor zu erzeugen, in welcher unsere Lebenswirklichkeit mitteilbar und erst genießbar wird. Hugh.

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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 15:01

SALVE, Willimox!

Es freut mich, auf einen solch aufmerksamen Leser zu stoßen. Wenn ich selber einmal nicht weiß, was ich warum geschrieben habe, werde ich dich konsultieren.
Beim konkreten Gedicht glaube ich es zu wissen, sofern du mir nicht das Gegenteil nachweist.
Wichtig sind die Partizipien: Der erste Pentameter lautet
ut stabularet homo semina dura legens.

Das Präsenspartizip sagt ja, dass der Mensch, der auch vorher Getreide gesammelt, hat, das noch immer tut. legere scheint zwar das "Sammlen" von wild wachsenden Früchten zu implizieren, kann aber auch das Ernten des angebauten Getreides bedeuten.
uagati und uenati sind Perfektpartizipien; diese Tätigkeiten sind nicht mehr konstitutiv für das Leben der Menschen.
Vielleicht decken sich meine Verse nicht zu 100% mit Reichholfs Theorie, aber bedenke, dass sie nur der Ausgangspunkt war.
Egal, was esca war; die Sesshaftwerdung wird durch den kultischen Rauschtrunk begründet. Das kultische Element wurde bewusst weggelassen, um nicht die verkürzende Aussage "Saufen ist Gottesdienst" an einem Sonntag zu sehr zu betonen.

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Beitragvon Willimox » So 9. Nov 2008, 15:28

Hm, ein Aside,

"Sedibus in fixis, effecit cultus agrorum,
ut stabularet homo semina dura legens.
Panis causa fuit granique alimenta refracti"


Die ersten drei Zeilen enthalten die These eines fiktiven Dialogpartners, die dann von dem Hauptsprecher zerpflückt, jedenfalls korrigiert wird. Der Ackerbau und der Mangel an tierischem Eiweiß - so die latente These - lassen den Jäger-Menschen "stabulare"m und zwar an festen Orten. Hauptgrund ist die Möglichkeit (und Notwendigkeit) pflanzlichen Nahrungsgewinns. Zu stark an R. angelehnt?

Aber unabhängig von den latenten Prämissen - gewiss wäre doch die Verhaltensänderung wichtig. Die lässt sich
vielleicht mit einem leicht paradoxen Abl.Abs. ausdrücken?

Sedibus infixis effecit cultus agrorum,
ut stabularet homo semina dura legens ...

Vale
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Beitragvon Apollonios » So 9. Nov 2008, 15:36

Es ist vielleicht allzu kühn von mir, den verehrungswürdigen Gelehrten Zythophilus und Willimox rundheraus zu widersprechen, ich bitte daher um sonntäglich mildgestimmte Betrachtung. Allein, das Nahrungsangebot durch Wild hat gegenüber dem durch Getreide einen nicht zu vernachlässigenden Nachteil: es läuft weg. Der Mensch baut Getreide an, nicht weil er damit noch etwas anderes als ein Grundnahrungsmittel erhalten kann (bitte verzeiht, daß ich Bier nicht als solches anzusehen vermag; ich bin ein Weib, und obendrein kein gutes) - sondern weil er von Natur aus faul ist. Der dem Menschengeschlechte innewohnenden Trägheit kommt der Getreidebau weit besser entgegen als die Jagd (solange sie nicht als Zeitvertreib einer die Faulheit zur höchsten Blüte bringenden Oberschicht betrieben wird). Erst im Anschluß an die dem otium förderliche Getreidekultur entdeckte der Mensch als Steigerung dieser Kulturstufe die Brauerkunst, durch deren Produkte die Faulheit noch in besonderer Weise gefördert wird.
Dem Erdenken der Waschmaschine als Mittel zur Arbeitsersparnis liegt die gleiche bequeme Haltung zugrunde wie dem Erdenken des Bieres.
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Beitragvon Willimox » So 9. Nov 2008, 15:47

Verehrungswüdige Apoll!

Gewiss einleuchtend, was Du schreibst. Wahrscheinlich ist das auch ein ernster Einwand gegen R. Er rechnet zwar aus, so entnehme ich der Rezension, dass getreidebasiertes Überleben absurd hohe Getreiderträge erfordert. Er betont, dass primäre Sesshaftigkeit ausgerechnet in tierischen Speckgürteln nachzuweisen ist. Und dass daher Getreideanbau und Sesshaftigkeit wenig mit Überleben zu tun haben kann.

Aber ist es nicht trotzdem so, dass gerade Haustierhaltung und Ackerbau eng verknüpft sind? Dass also die Jagd nach tierischem Eiweiß weniger notwendig wird, wenn man den Fleischlieferanten bei sich hat? Dass also das Bequemlichkeitsargument auch hier sticht? Oder ist das bei R. bereits irgendwo bedacht und widerlegt?

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Beitragvon Apollonios » So 9. Nov 2008, 15:58

Der Nachteil von Haustieren, teurer Willimox, ist, daß sie - ehe sie gefressen werden - selbst fressen, und zwar meist Getreide. Sie schaffen zwar, wenn sie z.B. mit feingehackten Zwiebeln und gutem Öl gebraten werden, hohen Genuß, machen aber vorher erheblich Arbeit, die man ja gerade vermeiden wollte. Andererseits fördern sie den Getreideanbau durch Produktion hervorragenden Düngers. Hier ist eine beständige Kosten-Nutzen-Rechnung vonnöten, die ich als der Landwirtschaft nur bedingt Kundige nicht leisten kann.
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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 16:04

SALVE, Apo!
Dem (= der ersten Meldung) widerspricht - auch wenn wir nicht auf das Bier sehen - Reichholfs These. Er sagt, dass zu der Zeit, als die Menschen etwa in der Gegend des Zweistromlandes sesshaft wurden, Ackerbau nicht für den Nahrungserwerb nötig war. Tierisches Eiweiß - sei's durch die Jagd, sei's durch erste Haustiere - war vorhanden, die natürliche Vegetation bot genug Früchte und wildes Getreide für eine ausreichende Ernährung. Lediglich um die Versorgung mit vergorenen Getränken sicherszustellen, begann er Ackerbau zu betreiben, der angesichts der nötigen körperlichen Anstrengung und geringen Erträge wohl laut Reichhofs These keine Vereinfachung darstellte, sondern nur eine gewisse Garantie. Nicht Bequemlichkeit, sondern der Wunsch nach dem Rauschtrank, vermutlich kultisch inspiriert, waren die Ursache.
Mit anderen Worten: Das Gulasch oder Schnitzel auf dem Mittagstisch war gesichert, das Bier und das Vaterunser dazu wollte man mit dem Getreideanbau sichern.
Bier ist nicht das Folgeprodukt eines Getreideüberschusses, das dank des Alkoholgehaltes noch einen Mehrwert gegenüber seinen bloßen Kalorien erhält - soweit Reichholfs Theorie in meinen Worten.
Die Waschmaschine hätte der Steinzeitfrau auch wenig genützt: Die Jagd war nichts für sie, die meisten Arbeiten in de Landwirtschaft konnte sie auch nicht ausführen. Zudem wusch man in der Steinzeit sich und auch die Wäsche nur selten. Da fällt es nicht ins Gewicht, dass es auch keinen Strom für die Waschmaschine gab.

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Beitragvon Willimox » So 9. Nov 2008, 16:10

Das eben ist der Punkt, wackere und scharfsinnige A.

Der Nachteil von Haustieren, teurer Willimox, ist, daß sie - ehe sie gefressen werden - selbst fressen, und zwar meist Getreide.


Das Absurditätsargument sticht, wenn die Viecher in der Urgesellschaft vor allem Getreideprodukte brauchen. Aber ist das so? Nun, da muss man sich dann wohl wirklich bei R. kundig machen.

Kulturelle Bedürfnüsse mit Nahrungsaufnahmeorientierung melden sich gerade bei mür.

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Beitragvon Apollonios » So 9. Nov 2008, 16:17

Den Sommer über kann man sie weiden lassen, zumal wenn noch nicht alles zugebaut und asphaltiert ist. Aber im Winter - damals gabs ja noch richtige Winter mit echtem Schnee! - muß man die Tiere irgendwie durchbringen - mindestens einen Zuchtbullen und zwei Kühe, den Rest kann man zu Martini schlachten.

Was das Waschen angeht, so unterschätze, ehrenwerter Zythophil, nicht die weibliche Eitelkeit, neben der allgemein menschlichen Faulheit sicher bereits in frühester Zeit ein verbreitetes Laster.
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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 16:21

SALVE

Laut Reichhold - ich müsste das Buch selber lesen - ist genau das für das Zweistromland in der errechneten Zeit der Sesshaftwerdung der Menschen eben nicht nötig. Er bringt Klimatabellen etc.

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Beitragvon Zythophilus » So 9. Nov 2008, 16:22

Die eitleren wuschen sich vermutlich einmal pro Jahr ...
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