Anselm

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Anselm

Beitragvon Noctua » Di 14. Okt 2008, 15:06

Hallo und seid gegrüßt,

ich habe mal Consus Rat beherzigt und das III. Kapitel aus Anselms Proslogion übersetzt. Zum einen habe ich Übersetzungsfragen, so müßte dieser Thread hier eigentlich im Übersetzungsforum stehen, zum anderen habe ich aber auch inhaltliche und philosophische Fragen, so dass ich andererseits den Thread hier eröffnen müßte. Deshalb bitte ich um Entschuldigung falls sich der ein oder andere durch meine Übersetzungsfragen genervt fühlt.

Zuerst einmal der Text und Übersetzung:

Quod Deus non possit cogitari non esse.---Deus est id quo majus cogitari non potest. Id quod potest cogitari non esse, non est Deus.

[Es ist eine Tatsache,], dass Gott nicht ´nicht zu sein´ gedacht werden kann.

:? Wiedergabe des quod? Als faktisches oder kausales quod? Eigentlich leitet es ja etwas ein...

Gott ist etwas zu dem im Vergleich nichts höheres gedacht werden kann. Das, was `nicht zu sein` gedacht werden kann, ist nicht Gott.

Quod utique sic vere est, ut nec cogitari possit non esse.

Dieses ist zumal so wahr, dass `nicht zu sein` nicht gedacht werden kann.

Nam potest cogitari esse aliquid quod non possit cogitari non esse;

Denn etwas `zu sein` kann gedacht werden, das `nicht zu sein` kann nicht gedacht werden;

quod majus est, quam quod non esse cogitari potest.

Weil es größer ist als das `nicht sein` kann es gedacht werden.

Quare si id, quo majus nequit cogitari, potest cogitari non esse: idipsum quo majus cogitari nequit, non est id quo majus cogitari nequit: quod convenire non potest.

Deshalb, wenn dieses zu dem im Vergleich nichts größeres gedacht werden kann, kann nicht `zu sein` gedacht werden: diese [Sache] selbst, zu der im Vergleich nichts höheres gedacht werden kann, ist nicht diese [Sache] zu der im Vergleich nichts höheres gedacht werden kann: das kann nicht zusammenkommen/ übereinstimmen.

:? Da bin ich bei der Übersetzung unsicher. Ich finde dieses Häufung und den Argumentationsaufbau auch etwas verwirrend.

Sic ergo vere est aliquid quo majus cogitari non potest, ut nec cogitari possit non esse: et hoc es tu, Domine Deus noster.

So ist es also wahr, dass [es] etwas [gibt] zu dem im Vergleich nichts höheres gedacht werden kann, das nicht `nicht zu sein` gedacht werden kann: und dieses bist Du, unser Herr, Gott.

:? Die Wiedergabe des ut, scheint für mich so die beste Lösung zu sein, aber wie erkläre ich eine solche relativische Wiedergabe?

Sic ergo vere es, Domine, Deus meus, ut nec cogitari possis non esse; et merito.

So bist du also gewiss, Herr, mein Gott, sowie du nicht `nicht zu sein` gedacht werden kannst; und mit Recht.

Si enim [0228C] aliqua mens posset cogitare aliquid melius te, ascenderet creatura super Creatorem, et judicaret de Creatore: quod valde est absurdum.

Wenn nun irgendeine Gesinnung etwas besseres als Dich denken kann, würde sie sich als Kreatur über den Schöpfer erheben, und über den Schöpfer urteilen: dies ist sehr unpassend/ absurd..

Et quidem quidquid est aliud praeter solum te, potest cogitari non esse.

Und freilich gibt es irgendetwas anderes außer dir allein, das `nicht zu sein` gedacht werden kann.

Solus igitur verissime omnium, et ideo maxime omnium habes esse; quia quidquid aliud est, non sic vere est, et idcirco minus habet esse.

Allein daher musst du am wahrhaftigsten von allen und deshalb am größten von allen sein; weil es nicht etwas anderes gibt, das so wahr ist und deshalb muss es geringer sein.

:? Bei der Wiedergabe des quia-Satzes bin ich mir unsicher.

Curitaque dixit insipiens in corde suo: Non est Deus? (Psal. XIII, 1) cum tam in promptu sit rationali menti, te maxime omnium esse.

:? Curita???

…und in seinem Herzen unverständig sprach er : Ist es nicht Gott?...

:? Auf welchem Psalm bezieht sich Anselm dort? In meiner Bibel ist Psalm 13 die Klage und Vertrauen in großer Not und mit diesen Worten nicht vereinbar...

...obwohl es für einem vernünftigen [denkenden] Geist offenkundig ist, dass er am Größten von allen ist.

Cur, nisi quia stultus et insipiens?

Warum [sagt er das], wenn nicht, weil er dumm und unverständig ist.

Und hier meine Gedanken dazu:

Anselm erbringt hier einen Beweis für die Existenz Gottes. Er ist der Meinung, dass das "zu dem im Vergleich nichts höheres gedacjt werden kann" = Gott ist. Aber beweist das allein seine Existenz?

Das klingt fast so wie Luhmanns Gedanke: ein Raum existiert erst dann, wenn er gedacht wird...

Aber was ist mit all den Menschen die nicht an Gott glauben, was nimmt dann die Stellung des Höchsten ein? Das höchste Gut, wie es bei den antiken Philosophen der Fall war? Ist das höchste Gut der antiken Philosophie mit der Darstellung Gottes im Mittelalter vergleichbar? Vermutlich ist jetzt jeder Theologe über meine Frage entsetzt...

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Beitragvon Ketelhohn » Di 14. Okt 2008, 17:42

Hallo Noctua, ich fang mal an:

Quod [Deus] non possit cogitari non esse.

Das ist die Überschrift. Also faktisches quod.
Übersetzung: „Daß er [Gott] nicht als nicht seiend gedacht werden kann“
(oder: „Daß nicht gedacht werden kann, daß er [Gott] nicht sei“).
(Deus ist hier eine sinngemäße Ergänzung des Herausgebers, die nicht zum ursprünglichen Text gehört.)

Dann eine wohl vom Herausgeber vorangestellte Zusammenfassung dessen, was in diesem Kapitel diskutiert wird:
Deus est id quo majus cogitari non potest. Id quod potest cogitari non esse, non est Deus.

Zur Übersetzung: „Gott ist das [id] …“ (nicht: „etwas“). Sonst wäre ja auch die Logik dahin.
Ferner bliebe ich für majus schon worttreu beim „Größeren“ (nicht: „Höheren“).

Nun beginnt die Erörterung dessen, was die Überschrift angibt:
Quod utique sic vere est, ut nec cogitari possit non esse.

Das quod bezieht sich auf die Gesamtaussage der Überschrift; Subjekt des ut-Satzes ist dasjenige der Überschrift.
Das Adverb sic ist nicht zu verstehen im Sinne von: „in dem Maße“, sondern von: „auf solche Weise, insofern“.
Also: „Das ist jedenfalls insofern wahr, als er nicht als nicht seiend gedacht werden kann.“

Nam potest cogitari esse aliquid quod non possit cogitari non esse;

Deine Übersetzung macht im Hauptsatz esse zum Subjekt, aliquid zum Prädikativum. Das wäre – abgesehen davon, daß der vorige Satz anderes nahelegt – nur möglich, wenn nicht der abhängige quod-Satz folgte. Den ordnest du darum bei, was aber verkehrt ist. Es liegt eindeutig Hypotaxe vor: aliquid, quod.
Also: „Es kann nämlich etwas als seiend gedacht werden, was nicht als nicht seiend gedacht werden kann.“
(Ich bleibe da jetzt mal so wörtlich wie möglich; man könnte auch allerhand umstellen, etwa: „Man kann nämlich etwas als seiend denken, wovon man nicht denken kann, daß es nicht sei“, o. ä.)

quod majus est, quam quod non esse cogitari potest.

Das quod ist wiederum relativisch zu verstehen (weiterhin bezogen auf aliquid); das quam quod ist eine elliptische Wendung, ergänze: id, also: quam id, quod. Du behandelst dies quod wie einen Artikel, es ist aber das Subjekt des letztes Teilsatzes.
Also: „…; das ist größer, als ‹das,› was als nicht seiend gedacht werden kann.“

So weit erst mal, mehr Zeit habe ich jetzt nicht. Bloß eins noch: bei curitaque hat sich wohl freventlich ein Leerzeichen verdünnisiert …
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Beitragvon consus » Di 14. Okt 2008, 21:40

ist jetzt jeder Theologe über meine Frage entsetzt...

Gewiss nicht, Noctua; denn die Gottesgelahrtheit ist auch mir, obwohl von Hause in viel engerer Beziehung zur angeblichen ancilla theologiae stehend, durchaus nicht fremd...
Die sog. Beweise für die "Existenz" Gottes sind einer Theologie zuzuordnen, die das Prädikat "schlecht" (Paul Tillich) verdient; denn in dieser Spielart des Theismus wird Gott als ein Wesen, auch wenn es als höchstes aufgefasst wird, neben anderen Wesen in der gesamten Wirklichkeit angesehen und somit eingebunden in die Subjekt-Objekt-Beziehung. Es ist dies der Gott, gegen den Nietzsche Sturm läuft. Beeindruckt hat mich immer Bonhoeffers Wort, dass es einen Gott, den es gebe, nicht gebe. Auch das Jaspersche Konzept des sog. Umgreifenden, das die Subjekt-Objekt-Struktur umfasst, eben "umgreift" und darüber stehend nicht daran gebunden ist, ist für das Nachdenken über die Gottesfrage bedeutsam. Das alles kann aber hier nur angedeutet werden; der Rahmen dieses Forums würde gesprengt werden. Es gibt ja unendlich viel Literatur zu diesem Thema (z. B. kompendienartige Werke wie Küngs Existiert Gott? Weischedels Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus u. a.)...
Bonam noctem!
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Beitragvon Willimox » Di 14. Okt 2008, 22:07

@noctua

Zum Philosophischen Hintergrund ein Link - vielleicht für Dich anregend?


http://www.nensch.de/comments/2007/3/16 ... /204/16#16
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Beitragvon Ketelhohn » Mi 15. Okt 2008, 00:34

consus hat geschrieben:Die sog. Beweise für die "Existenz" Gottes sind einer Theologie zuzuordnen, die das Prädikat "schlecht" (Paul Tillich) verdient

Dies Verdikt müßte freilich, wenn schon, der deistischen Theologie der „Aufklärung“ gelten, denn sie ist der eigentliche Platz der Gottesbeweise, wobei als Movens ihrer rationalen Konstrukte die Ablehnung einer Offenbarungsreligion anzusehen ist.

Kant hat die früheren abendländischen „Gottesbeweise“ – so besonders auch denjenigen, wohl von ihm zuerst „ontologisch“ genannten, Anselms – in ihrer Bedeutung völlig überbewertet und in ihrer Funktion verkannt.

Einem Anselm ging es – wie schon den Vätern in der „patristischen“ Zeit, die freilich noch zurückhaltender argumentierten – keineswegs darum, Ungläubigen, Atheisten oder Agnostikern die Existenz Gottes stringent zu beweisen. Das war gar nicht nötig, sie wurde nicht bezweifelt. Credo ut intelligam, so ist auch bei Anselm die rechte Ordnung.

Ein solcher „Gottesbeweis“ wie jener „ontologische“ des Anselm von Canterbury will nicht Ungläubige bekehren, sondern das, was ohnehin geglaubt wird, auch rational untermauern. Nicht als ob das nötig wäre: vielmehr weil es möglich und angemessen ist.

Anselms Argumentation setzt die platonisch-augustinische Tradition voraus. Er bewegt sich nicht in den Bahnen strikter aristotelischer Logik, wie es seine Kritiker taten, darunter Thomas. Vielmehr geht sein „Beweis“ von der denkenden Selbsttranszendierung der menschlichen Vernunft aus. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Hat Kant das eigentlich bemerkt? – Ich glaube nicht.
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Beitragvon Ketelhohn » Mi 15. Okt 2008, 00:55

Na, nehmen wir noch einen Abschnitt des Textes:
Quare si id, quo majus nequit cogitari, potest cogitari non esse: idipsum quo majus cogitari nequit, non est id quo majus cogitari nequit: quod convenire non potest.

Erst mal den grundsätzlichen Aufbau: .. si id … potest cogitari …, ‹dann› id … non est id … – „Wenn das gedacht werden kann, dann ist das nicht das“; grundsätzlich klar? – dazwischen kommen noch die quo-majus-Sätze und die Feststellung der Falsifikation als Schluß. Also:
„Wenn daher das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, als nicht seiend gedacht werden kann, dann ist das Nämliche, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nicht das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann: Das paßt nicht zusammen.“
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Warum,

Beitragvon Willimox » Mi 15. Okt 2008, 07:40

warum nur sollte ausgerechnet Kant nicht erkannt haben, dass man Anselms Argument als "apriorisch fundierte Konstruktion" lesen kann?

Und warum sollte der eigentliche Platz für Gottesbeweise die Aufklärung sein? In dieser Epoche mögen sie den Höhenkamm der Diskussion besetzt haben, aber die Vortradition (z.B. Ciceros "De natura deorum") ist auch ganz schön stark .... Das gibt ja auch implizit zu, wer auf Aristotelische und Platonische Diskurse verweist.

Kant und die Aufklärungspezifik

Auch wenn man diese apriorische Lesart ansetzt, gilt immer noch Kants Schlußfolgerung: "Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu erteilen." Oder wird dies ein Aprioriker leugnen?

Oder wird ein Theologe die apriorische "Existenz" von Begriffen wie "Fee", "Zeus", "Teufel", "Götze" als ausreichend für die Dignität des Glaubens an solche Wesen bezeichnen?

Dass auch bereits vor der Aufklärung rational-empirisch argumentiert wurde, ist offensichtlich; s.o. . Man bedenke weiter, wie liebevoll Anselm auf Gaunilo und sein Inselargument eingeht. Besonders ergiebig in diesem Zusammenhang, auch für die Vortradition: Wolfgang Röd: Der Gott der reinen Vernunft, München 1992, S. 39ff

Bonus-Track:

Hier die liebevolle (doch!) Parodie des Anselmschen Gottesbeweises (Anselm von Canterbury; 1033 - 1109), präsentiert vom australischen Philosoph Douglas Gasking (1911 -1994):

(1) The creation of the world is the most marvellous achievement imaginable.
(2) The merit of an achievement is the product of (a) its intrinsic quality, and (b) the ability of its creator.
(3) The greater the disability (or handicap) of the creator, the more impressive the achievement.
(4) The most formidable handicap for a creator would be non-existence.
(5) Therefore, if we suppose that the universe is the product of an existent creator, we can conceive a greater being - namely, one who created everything while not existing.
(6) An existing God, therefore, would not be a being than which a greater cannot be conceived, because an even more formidable and incredible creator would be a God which did not exist. Ergo,
(7) God does not exist.
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Beitragvon Ketelhohn » Mi 15. Okt 2008, 09:30

Ohne darauf jetzt im einzelnen einzugehen, bemerke ich, daß die Haltung
zu Anselms Argumentation wohl nicht unwesentlich vom jeweiligen (bewuß-
ten oder unbewußten) erkenntnistheoretischen Fundamente abhängt.

Hülfreich zum Verständnis mag sein, hierzu den Schluß des IV. Kapitels zu
lesen:
Gratias tibi, bone Domine, gratias tibi, quia quod prius credidi te donante,
jam sic intelligo te illuminante, ut, si te esse nolim credere, non possim non
intelligere.
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Beitragvon consus » Mi 15. Okt 2008, 09:33

Dies Verdikt müßte freilich, wenn schon, der deistischen Theologie der „Aufklärung“ gelten, denn sie ist der eigentliche Platz der Gottesbeweise

Diese Auffassung ist zu bestreiten; im Unterschied zum Theisten, der, um es ganz kurz zu sagen, von der Existenz eines persönlichen Gottes, der die Welt geschaffen hat, lenkt und bewahrt, überzeugt ist, sieht der Deist zwar auch Gott als Schöpfer des Universums an, meint aber, dass Gott nach der Schöpfung sich quasi zurückgezogen hat und nicht mehr lenkend und bewahrend in das nun nach den Naturgesetzen allein ablaufende Weltgeschehen eingreift.
Ich will mich hier nicht auf weitere Diskussionen einlassen und es der mündigen Leserin und dem ebenso mündigen Leser überlassen, sich aus einem anspruchsvollen Wörterbuch der philosophischen Begriffe die nötigen Informationen zu besorgen und sich selbst ein Urteil zu bilden.
Anm. Die Anführungszeichen, mit denen der Begriff Aufklärung oben präsentiert wird, haben hoffentlich keinen abwertenden Charakter; denn wer die berühmten und zugleich beglückenden Worte Kants vor Augen hat, wird nachempfinden können, welche geistige Befreiung mit der Aufklärung verknüpft ist: Sapere aude, und zwar in allen Bereichen.
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Beitragvon Ketelhohn » Mi 15. Okt 2008, 09:58

Mit Blick auf den Illuminismus der „frühen Neuzeit“ haben die Gänsefüße,
mit welchen ich den Begriff der „Aufklärung“ schmückte, ganz entschieden
abwertenden Charakter. Ich sehe da nur ideologische Vernebelung, aber
keine Aufklärung. Doch dies sollten wir an dieser Stelle in der Tat gar nicht
beginnen zu diskutieren.
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Re: Warum,

Beitragvon Ketelhohn » Mi 15. Okt 2008, 10:27

Willimox hat geschrieben:warum nur sollte ausgerechnet Kant nicht erkannt haben, dass man
Anselms Argument als "apriorisch fundierte Konstruktion" lesen kann?

Dazu doch noch eine kurze Anmerkung: Auf jenem „apriorischen Funda-
ment“ baut nicht etwa die Argumentation Anselms auf, sondern auf ihm
steht ihr Autor und stehen ihre zeitgenössischen Rezipienten. Es ist Teil
und wesentliche Voraussetzung der epistemologischen Konfiguration der
Epoche.
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Beitragvon Noctua » Mi 15. Okt 2008, 13:17

Hallo und vielen Dank für eure Antworten! Und nun der Reihe nach:

@Ketelhohn: Danke für deine Korrekturen. Ich muss zugeben, dass ich peinlich berührt bin, dass man sich bei einem Text, der aus so einfachen Worten besteht, mit der Übersetzung so schwer tun kann. Ich habe den Rest, zu dem Du noch nichts gesagt hattest, noch mal überarbeitet. Und das ist bei raus gekommen:

Sic ergo vere est aliquid quo majus cogitari non potest, ut nec cogitari possit non esse: et hoc es tu, Domine Deus noster.

Insofern also gibt es tatsächlich etwas, zu dem im Vergleich nichts höheres gedacht werden kann, [das] als nicht seiend nicht gedacht werden kann: und das bist Du, Herr, unser Gott.

Sic ergo vere es, Domine, Deus meus, ut nec cogitari possis non esse; et merito.

Insofern bist du also gewiss, Herr, mein Gott, sowie du nicht als nicht seiender gedacht werden kannst; und [das] mit Recht.

Si enim [0228C] aliqua mens posset cogitare aliquid melius te, ascenderet creatura super Creatorem, et judicaret de Creatore: quod valde est absurdum.

Wenn nämlich irgendeine Gesinnung etwas besseres als Dich denken könnte, würde sich die Kreatur über den Schöpfer erheben, und über den Schöpfer urteilen: dies ist sehr unpassend.

:? aliqua mens... ich finde kein richtiges Wort dafür...

Et quidem quidquid est aliud praeter solum te, potest cogitari non esse.


Und freilich gibt es irgendetwas anderes außer dir allein, das als nicht seiend gedacht werden kann.

Solus igitur verissime omnium, et ideo maxime omnium habes esse; quia quidquid aliud est, non sic vere est, et idcirco minus habet esse.

Deshalb musst du allein am wahrhaftigsten von allen und deshalb am größten von allen sein; weil es etwas anderes gibt, [das es] unter der Bedíngung tatsächlich nicht ist [gibt] und deshalb geringer sein muss.

Cur itaque dixit insipiens in corde suo: Non est Deus? (Psal. XIII, 1) cum tam in promptu sit rationali menti, te maxime omnium esse.

Warum also sprach er in seinem Herzen unverständig: Ist es nicht Gott?...

:? Auf welchem Psalm bezieht sich Anselm dort? In meiner Bibel ist Psalm 13 die Klage und Vertrauen in großer Not und mit diesen Worten nicht vereinbar...

...obwohl es für einem vernünftigen [denkenden] Geist offenkundig ist, dass er am Größten von allen ist.

Cur, nisi quia stultus et insipiens?

Warum [sagt er das], wenn nicht, weil er dumm und unverständig ist.

Ich hatte tatsächlich am Anfang überlegt esse als "seiend" wiederzugeben, denn meine HÜ klang ja eben entsprechend gruselig und hatte die Tücke, dass ich esse schnell zum Subjekt gemacht habe, was ich eigentlich nicht wollte, denn aliquid quod hatte ich schon erkannt... :sad: aber anscheinend sind mir durch das möglichst wortwörtliche Übersetzen mehr Fehler unterlaufen als hätte sein müssen. Das deprimiert mich!
Habe ich es richtig in Erinnerung, dass man esse in bestimmten Fällen (wie z.B. in diesen) als PPA wiedergeben kann, auch in klassischen Texten?

So das erstmal zum Text...
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Beitragvon Noctua » Mi 15. Okt 2008, 13:28

Und hier jetzt noch einige Gedanken meinerseits zum Rest:

@Willimox:
Zum Philosophischen Hintergrund ein Link - vielleicht für Dich anregend?

Ja! Vielen Dank!

zur sonstigen Diskussion:
Ich betrete hier Neuland, also mag man mir meine vielleicht naiven Fragen oder Gedanken verzeihen. Ich bin sehr dankbar, dass ich hier einen Raum gefunden habe, der mir einen Einstieg in diese Thematik etwas erleichtert, denn um diese Thematik habe ich mich bisher gern gedrückt, weil sie einfach so komplex ist und so viel voraussetzt.

So und nun gehts ans Eingemache: :)

Die sog. Beweise für die "Existenz" Gottes sind einer Theologie zuzuordnen, die das Prädikat "schlecht" verdient


Gottes Existenz kann man doch gar nicht beweisen! Oder? Deshalb sind auch jegliche Beweise "schlecht". Entweder man glaubt daran, oder eben nicht. Allerdings braucht der Mensch immer etwas, woran er sich festhalten kann, deshalb beten ja Menschen auch in Zeiten der Not zu einem Gott, obleich sie nicht an ihn glauben, sie brauchen etwas, was sie stützt und außerhalb ihrer selbst liegt. Der antike Philosoph würde stattdessen an sein bonum glauben und Durststrecken mit einem Blick auf das bonum gerichtet überstehen.

Weshalb nur möchte man die Existenz Gottes beweisen? Man wird keinen Ungläubigen mit noch so guten Beweisen überzeugen können... in diesem Sinne kommt mir jede Diskussion und Argumentation, welches das höchste Gut sei, sinnvoller vor, als dass das höchste Gut Gott sei und Argumente angeführt werden, die dies beweisen mögen...

Aber sei es drum...


Einem Anselm ging es – wie schon den Vätern in der „patristischen“ Zeit, die freilich noch zurückhaltender argumentierten – keineswegs darum, Ungläubigen, Atheisten oder Agnostikern die Existenz Gottes stringent zu beweisen. Das war gar nicht nötig, sie wurde nicht bezweifelt. Credo ut intelligam, so ist auch bei Anselm die rechte Ordnung.

Das ist natürlich der Zeit verschuldet. Eine Frage nach der Existenz Gottes hätte natürlich zur Folge gehabt als Ungläubiger zu gelten. Es wäre wohl in der Zeit des Mittelalters niemand auf die Idee gekommen derartiges zu tun... Oder etwa doch?

was ohnehin geglaubt wird, auch rational untermauern
das drücken vermutlich die Worte "aliqua mens" und "rationali menti" aus... Habe ich es richtig verstanden, dass es schon Anselm um die Vernunft geht? (Gut den antiken Philosophen ging es ja auch um Begriffe wie Vernunft, aber das hätte ich von einem mittelalterlichen Gelehrten nicht so erwartet)


platonisch-augustinische Tradition

so viel zum Thema voraussetzen... Kann mir bitte jemand kurz dazu was sagen?

Und warum sollte der eigentliche Platz für Gottesbeweise die Aufklärung sein? In dieser Epoche mögen sie den Höhenkamm der Diskussion besetzt haben, aber die Vortradition (z.B. Ciceros "De natura deorum") ist auch ganz schön stark .... Das gibt ja auch implizit zu, wer auf Aristotelische und Platonische Diskurse verweist.


Ich denke, dass es in der Antike viel freier mit diesen Gedanken und auch mit einer Diskussion über eine Existenz Gottes gehalten wurde. Ein Gedanke dazu: Zeus ist mit dem eifersüchtigen Christengott nicht gleichzusetzen. Die Bibel lehrt immer wieder eindringlich was mit Ungläubigen bzw. Andersgläubigen und Herausforderern passiert; man denke nur an die Baalspriester und ihr unseliges Ende. Erstickt solch eine Religion nicht eine Frage nach Gottes Existenz im Keim? Und braucht es da nicht erst den Geist eines aufklärerischen Zeitalters um eine solche Frage zu wagen? Dazu würde auch das passen, was Ketelhohn meinte, Anselm beweist nur rational, was ohnehin jeder glaubt... oder ist dieser Ansatz viel zu naiv???

Warum will überhaupt jemand wie Anselm in einem solchen Zeitalter die Existenz eines unbestrittenen Gottes beweisen?

Ich habe gelesen, dass Anselm die alte Theologie überholte... was genau hat er denn "reformiert"? Wenn ich es richtig verstanden habe, ging es dabei wesentlich um die Heilsgeschichte. Wo kann ich denn etwas über die Unterschiede der"alten" und "neuen" Theologie lesen?

Ich merke, nach wie vor ist ein Einstieg in diese Thematik schwierig, wenn man meint es zu fassen, ist es weg... aber wird hoffentlich als noch dickerer Fisch aus dem Gedankenteich wieder auftauchen...

@Consus: Würdest Du das Buch "Existiert Gott" als grundlegende Lektüre für diese Thematik empfehlen - fast 900 Seiten sind erschreckend viel... und meist haben es Autoren solcher Werke nicht an sich, die Dinge leicht verständlich zu erklären und darzustellen.

Theismus und deistische Theologie vs. Aufklärung? Also bei aller Liebe... :shock:

Einen schönen Tag wünscht -leicht verwirrt-
Noctua
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Beitragvon Ketelhohn » Mi 15. Okt 2008, 18:42

Noctua hat geschrieben:Habe ich es richtig verstanden, daß es schon Anselm um die Vernunft geht?
(Gut den antiken Philosophen ging es ja auch um Begriffe wie Vernunft, aber
das hätte ich von einem mittelalterlichen Gelehrten nicht so erwartet)

Zum Thema »Glaube und Vernunft« empfehle ich dir zunächst einmal folgenden
Text: Joseph Kardinal Ratzinger, Der Sieg der Einsicht über die Welt der Religionen
http://www.domus-ecclesiae.de/magisterium/veliternum-signia.josephus-ratzinger.02.html

Das Bewußtsein der Übereinstimmung von Vernunft und Glauben hat das
sogenannte „Mittelalter“ also aus der Väterzeit übernommen. Als nun die
beginnende Scholastik neue Wege des philosophischen Diskurses schuf und
beschritt, lag nichts näher, als das neue Instrumentarium auch auf das Thema
der Vernunftgemäßheit des Glaubens anzuwenden.

Wobei man noch einmal beachten sollte – ich hatt’s schon oben angedeutet –,
wie Anselm angibt drauf gekommen zu sein:
Gratias tibi, bone Domine, gratias tibi, quia quod prius credidi te donante,
jam sic intelligo te illuminante, ut, si te esse nolim credere, non possim non
intelligere.

Te illuminante: Nicht also etwa den intellectum agentem des Aquinaten sieht
Anselm hier am Werk, sondern göttliche Einstrahlung. Dahinter steht das
augustinische Erkenntnismodell.

Noctua hat geschrieben:Gottes Existenz kann man doch gar nicht beweisen!

Kannst du das beweisen? :D

Noctua hat geschrieben:Weshalb nur möchte man die Existenz Gottes beweisen? Man wird keinen
Ungläubigen mit noch so guten Beweisen überzeugen können

Wie gesagt: Das war auch gewiß nicht Anselms Absicht. Solche Motive dürfte
man eher bei Autoren der „Aufklärung“ finden, die rationalen Ersatz für den
sich selbst offenbarenden, persönlichen Gott suchten, von welchem sie sich
verabschiedet hatten.
Noctua hat geschrieben:Der antike Philosoph würde stattdessen an sein bonum glauben und
Durststrecken mit einem Blick auf das bonum gerichtet überstehen.

… vel unum seu esse … Aber nein, ob nun höchstes Gut, das Eine oder das
Sein schlechthin da im Blick wäre, oder alles als ohnehin eins gedacht: glauben
in unserm Sinne würde er kaum dran, Rettung von daher erwartete er auch
mitnichten. Vielleicht versuchte er sich aber dahin zu retten und mit Hülfe
kathartischer Praktiken seine Seele für den vermeinten Rückweg zu beflügeln.
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Beitragvon consus » Do 16. Okt 2008, 14:35

Servus, Noctua.
Wie ich schon schrieb, verfassten sowohl Küng (aus der kath.- theol. Ecke kommend) als auch der Philosoph Weischedel Werke, die man, ohne sie komplett zu lesen, durchaus erst einmal wie Kompendien zum Nachschlagen benutzen kann. Ich ziehe übrigens den Weischedel* vor (aber das heißt gar nichts). Durch die in den Büchern enthaltenen Querverweise erhält man die Möglichkeit, tiefer in die Materie einzudringen. Auf diesem Wege wird man dann auch zu einer systematischen Lektüre motiviert.
Wichtiger aber ist es, sich der eigenen Lektüre der Quellen selbst, also der grundlegenden Texte der behandelten Philosophen und Theologen zuzuwenden. Sehr viele Primärtexte sind im Internet zugänglich, so dass sich gut eine eigene Textsammlung zusammenstellen lässt. Das wäre dann der geistige Genuss, der mit der Freude an der römischen Küche einhergehen könnte...
:-D

-----------------------------
* Weischedel am Ende seines Werkes (2. Aufl. München 1985, Bd. 2, S. 257):
... Damit freilich offenbart die hier entwickelte Philosophische Theologie die Armut ihres Wesens,verglichen mit Glanz und Größe Philosophischer Theologien der vergangenen Jahrhunderte. Aber solche Armut ist vermutlich das Schicksal des Denkens, wenn es im Zeitalter des Nihilismus und der radikalen Fraglichkeit sich doch noch dem Gott zuwendet. Das letzte Wort der hier versuchten Philosophischen Theologie lautet daher: Gott, das Vonwoher, ist Geheimnis, und der Mensch hat es absichtlich als Geheimnis zu wahren.

Quid plura?
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