Sprachlich Einzigartiges

Beiträge zu Themen, die in keine andere Kategorie passen

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Sprachlich Einzigartiges

Beitragvon Pyrrha » Do 24. Jan 2008, 21:16

Pyrrha sodalibus universis s.p.d.

Sprachen sind ja, wie in der Diskussion zum Thema trotz bemerkt, paarweise inkommensurabel. Daher möchte ich einmal anregen, besonders schöne Wörter bzw. Ausdrucksmöglichkeiten verschiedener Sprachen zu sammeln.

Um selber den Anfang zu machen:

-der lateinische ablativus absolutus. Den hätte ich gerne in vielen anderen Sprachen! Die Gerundiums- und Partizipialkonstruktionen, die es in den romanischen Sprachen und im Englischen gibt, reichen an die Eleganz eines Abl. Abs. nicht heran, noch weniger das Deutsche, das um Nebensätze oft nicht herumkommt.

-das italienische anzi. Ich glaube, das ist inzwischen eine meiner Lieblingsvokabeln. Das lateinische immo scheint mir zu stark dafür.

-die Strenge des Deutschen und des Lateinischen bei der indirekten Rede. Schade, dass diese so oft vernachlässigt wird. Im Englischen kommt man mit der backshift of tenses ganz gut in die Nähe, in den (mir bekannten) romanischen sprachen hingegen sieht es düster aus.

-die englische used-to-Vergangenheit. Das Englische hat überhaupt einen wunderbaren Reichtum an Zeitformen.

-das grieschische Partizip [greek]wn, ousa, on[/greek]. Das wünsche ich mir oft im Lateinischen! Aber ens ist ja nicht sehr wohlgelitten...


Was fällt euch so ein?

Gruß, Pyrrha

P.S.: Wenn jemandem noch ein schönerer Titel einfällt, bin ich gerne bereit, ihn zu ändern.
Zuletzt geändert von Pyrrha am Fr 25. Jan 2008, 19:16, insgesamt 1-mal geändert.
Pyrrha
Censor
 
Beiträge: 705
Registriert: Sa 11. Aug 2007, 23:01

Beitragvon Apollonios » Fr 25. Jan 2008, 18:55

Das deutsche Wort gemütlich läßt sich nicht genau übersetzen.
Im Lateinischen gibt es das netteste aller Wörter für "Kleinigkeit": titibillicium.

Titelvorschlag: Sprachlich Einzigartiges
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon Pyrrha » Fr 25. Jan 2008, 19:15

titibillicium! herrlich! Aber auch über die quisquilia freue ich mich jedes mal wieder.

Danke! Das ist viel schöner! Angenommen!
Pyrrha
Censor
 
Beiträge: 705
Registriert: Sa 11. Aug 2007, 23:01

Beitragvon nighean_neonach » Fr 25. Jan 2008, 21:43

Ich spreche ja Gälisch, und bin da aus einem gewissen Lokalpatriotismus wahrscheinlich etwas voreingenommen... aber diese Sprache hat wirklich viele tolle Eigenheiten, die ich sehr gern mag, z.B.

- ein vom indogermanischen Standard abweichendes Farbensystem, in dem beispielsweise gorm die Farbe des Meeres, aber auch von Gras bezeichnen kann, während es für "künstliches" Grün ein anderes Wort, uaine, gibt, etc.

- die ästhetischste Orthographie Europas, und zwar schon seit altirischer Zeit, welche im Laufe der Zeit so verfeinert worden ist, dass sie in der modernen Sprachform mit nur 18 Buchstaben auskommt, um - je nach Dialekt - um die 60 Laute darzustellen (es gibt z.B. Dialekte mit 3-4 Aussprachevarianten von r, l und n, die teilweise bedeutungsunterscheidend sind).

- eine ganz tolle Syntax, das Verb steht immer an erster Stelle, es gibt zwei Verben, die sich die Funktionen von "sein" teilen (ähnlich wie ser / estar im Spanischen), es gibt keine Wörter für "ja" und "nein", sondern man muss mit der bejahten oder verneinten Verbform antworten.

- ganz viele wunderschöne Wörter (die auch seit jeher einer reichen Dichtungstradition dienen), wie z.B. beul na h-oidhche (= "Mund der Nacht") für den Anbruch der Nacht, also das Ende der Abenddämmerung, bevor es so ganz dunkel ist. Außerdem haben die Monate bei uns noch ganz eigene Namen, es ist eine der wenigen europäischen Sprachen, die nicht die lateinischen Monatsnamen übernommen haben (ansonsten fällt mir da nur noch Litauisch und Samisch ein).
omnia mutantur ~ nihil perit ~ mare aeternum est
nighean_neonach
Censor
 
Beiträge: 777
Registriert: Do 11. Mai 2006, 09:40
Wohnort: oceana

Beitragvon consus » Fr 25. Jan 2008, 23:23

Salve, Pyrrha! Salvete, amici!

Thema - mehercule - ingeniose excogitatum, Pyrrha optima!

Spontan fallen mir vier sprachlich wohl einzigartige Gebilde ein, die mir immer schon beim Lesen großes Vergnügen bereiteten:

Pacuvius (cf. Quint. inst. 1, 5, 67):

Nerei repandirostrum incurvicervicum pecus (von Delphinen ausgesagt);

Ennius (ann. 104 –Skutsch-):

O Tite tute Tati tibi tanta tyranne tulisti;

Ennius (ann. 451 –Skutsch-):

at tuba terribili sonitu taratantara dixit.

Johann Klaj (zitiert nach G. von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, 4. Aufl., Stuttgart 1964, s.v. Klangmalerei):

Des Krüppels Krückenstock krackt, grackelt, humpt und zackt.

Gar nicht so einfach zu übersetzen...
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Beitragvon Apollonios » Sa 26. Jan 2008, 01:01

Eines meiner derzeitigen Lieblingswörter ist die Alfanzerei - Kluge bietet eine hübsche Erklärung:
mhd. alevanz m. 'Possen, Betrug'; nach Fischer, Schwäb. Wb. I 123 in der Grundbedeutung 'Betrug, Gewinn' entlehnt aus ital. all' avanzo, 'zum Vorteil'.

Den Kluge muß ich jetzt ganz schnell wieder ins Regal stellen, sonst lese ich mich darin fest… von Alkoven bis zwirbeln.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon Didymos » Sa 26. Jan 2008, 13:15

titibillicium

Hehe das wird mein lateinisches Lieblingswort ;)
Habe es jetzt im Georges gefunden. Ich hätte als erstes gedacht, daß es mit vilis zu tun hat, aber das kommt wahrscheinlich nicht hin. Gibt es eine Etymologie dazu?

Grüße,
Euer Didymos
Didymos
Consul
 
Beiträge: 266
Registriert: Do 27. Dez 2007, 12:23

Beitragvon Apollonios » Sa 26. Jan 2008, 14:53

ad Didymonem: Langenscheidt zu titibillicium: wohl Schallwort
ad Consum: Vor Deinen schönen Beispielen versage ich als Übersetzer vollständig.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon Didymos » Sa 26. Jan 2008, 15:34

Danke Apollonios!

Wie kommt es dazu, daß dieses Schallwort in seiner Bedeutung verstanden wurde? Die Römer müssen doch von irgendwoher wissen, daß sie "Kleinigkeit" damit meinen, ist ja nicht so eine leichte Bedeutung wie "papa".

Grüße,
Euer Didymos
Didymos
Consul
 
Beiträge: 266
Registriert: Do 27. Dez 2007, 12:23

Beitragvon Apollonios » Sa 26. Jan 2008, 17:02

Das weiß ich nicht, und ich weiß auch nicht, ob irgendwer das weiß.
Aber daß so ein niedliches Piepsen etwas Winziges, Nichtiges meint, leuchtet mir spontan ein, ohne daß ich einen logischen Grund dafür finde.
---
Nach der Lektüre von Simone de Beauvoir beschäftigt mich, daß das klanglich weniger schöne (und im Deutschen reimlose) Wort Mensch etwas sehr Besonderes darstellt als Oberbegriff für Männer, Frauen und Kinder. In allen romanischen und einer Reihe anderer Sprachen dient als Oberbegriff das jeweilige Wort für Mann - eine recht uncharmante Regelung!
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
Benutzeravatar
Apollonios
Dictator
 
Beiträge: 1395
Registriert: Mi 28. Feb 2007, 18:34
Wohnort: Berolinum

Beitragvon nighean_neonach » Sa 26. Jan 2008, 18:31

Wobei ich vermute, dass "Mensch" mit "Mann" auch irgendwie etymologisch verwandt ist...
omnia mutantur ~ nihil perit ~ mare aeternum est
nighean_neonach
Censor
 
Beiträge: 777
Registriert: Do 11. Mai 2006, 09:40
Wohnort: oceana

Beitragvon Didymos » Sa 26. Jan 2008, 18:37

Saluete!

Ja vom Klang her. Im Georges steht "die Faser, bildl. für etwas sehr Geringes, eine Kleinigkeit, ein Bettel" da dachte ich, daß das Wort eine bestimmte Bedeutungsentwicklung durchgemacht hat, daß es zuerst Faser und dann auch Kleinigkeit bedeutet.

Grüße,
Euer Didymos
Didymos
Consul
 
Beiträge: 266
Registriert: Do 27. Dez 2007, 12:23

Beitragvon nighean_neonach » Sa 26. Jan 2008, 20:08

... vielleicht ähnlich wie "ein Fitzelchen" im Deutschen, was ja ursprünglich auch auf Textilien oder Garn bezogen war, wenn ich es recht verstehe (~ Fetzen).

Dass man in "niedlichen" Wörter gern i-Laute hat, ist wirklich symptomatisch.
omnia mutantur ~ nihil perit ~ mare aeternum est
nighean_neonach
Censor
 
Beiträge: 777
Registriert: Do 11. Mai 2006, 09:40
Wohnort: oceana

Beitragvon consus » Sa 26. Jan 2008, 20:45

Salvete, amici!
Zur „Faser“-Thema passt sehr gut das lateinische Wort
hilum, i n., das in nihil enthalten ist:
hilum putant esse, quod grano fabae adhaeret, ex quo nihil et nihilum
(nach Festus).

Ein Blick in die englischsprachige Literatur. Bei Jonathan Swift erscheinen sehr ungewöhnliche Namen, z. B.

the Houyhnhnms


How to pronounce it? Cf. Daniel Jones, Everyman’s English Pronouncing Dictionary. :grins:
Benutzeravatar
consus
Pater patriae
 
Beiträge: 14234
Registriert: Do 27. Jul 2006, 18:56
Wohnort: municipium cisrhenanum prope Geldubam situm

Beitragvon Prodikos » Sa 26. Jan 2008, 21:12

Apollonios hat geschrieben:Nach der Lektüre von Simone de Beauvoir beschäftigt mich, daß das klanglich weniger schöne (und im Deutschen reimlose) Wort Mensch etwas sehr Besonderes darstellt als Oberbegriff für Männer, Frauen und Kinder. In allen romanischen und einer Reihe anderer Sprachen dient als Oberbegriff das jeweilige Wort für Mann - eine recht uncharmante Regelung!


http://www.bilder-upload.eu/upload/rjJg59F6sLabT33.JPG

Lateinisches Etymologisches Wörterbuch, Dr. Alois Walde, 2. (umgearbeitete) Aufl., Heidelberg, 1910
Prodikos
 

Nächste

Zurück zu Sonstige Diskussionen



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 52 Gäste

cron