Hylaithos

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Hylaithos

Beitragvon Zythophilus » Do 12. Sep 2024, 08:39

Ich bin auf den Fluss Mornos (neugriechisch Μόρνος, antiker Name Ὕλαιθος) gestoßen, doch finde ich nichts über die Quantiät der ersten Silbe. Hängt der Name mit Ὕλας (kurz) oder ὕλη (lang) zusammen?
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Re: Hylaithos

Beitragvon Tiberis » Do 12. Sep 2024, 13:24

Naheliegend ist der Zusammenhang mit ὕλη + αἰθός (schwarz, verbrannt), aber bei Flussnamen, die meist sehr alt sind, kann es auch anders sein. Die erste Silbe sollte, wie bei allen mit ὕλη zusammengesetzten Wörtern, kurz sein.
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Re: Hylaithos

Beitragvon marcus03 » Do 12. Sep 2024, 13:39

Info dazu von KI:

Um zu beurteilen, welche Etymologie naheliegender ist, müssen wir verschiedene Faktoren berücksichtigen:
Häufigkeit in Hydronymen:
Die Verbindung von Naturbezeichnungen (wie ὕλη, "Wald") mit beschreibenden Elementen
ist in Flussnamen sehr häufig.
Mythologische Namen in Hydronymen sind zwar nicht ungewöhnlich,
aber weniger verbreitet als naturbeschreibende Namen.

Linguistische Einfachheit:
Ὕλη + αἶθος ist eine direktere und einfachere Kombination.
Ὕλας + αἶθος würde eine komplexere linguistische Transformation erfordern.

Semantische Logik:
"Glänzender Waldfluss" oder "durch den Wald schimmernder Fluss" ergibt unmittelbar Sinn für ein Gewässer.
"Glänzender Hylas" wäre eher symbolisch oder metaphorisch zu verstehen.

Geographische Relevanz:
Waldbezogene Namen sind universell anwendbar.
Ein auf Hylas bezogener Name würde eine spezifische mythologische Verbindung zur Region voraussetzen

Vergleichbare Toponyme:
Es gibt viele Beispiele für Flussnamen, die sich auf die umgebende Landschaft beziehen.
Namen, die direkt von mythologischen Figuren abgeleitet sind, sind weniger häufig, kommen aber vor.

Unter Berücksichtigung dieser Punkte erscheint die Etymologie von ὕλη (hyle, "Wald") + αἶθος (aithos, "glänzend") als die naheliegendere Option. Sie ist linguistisch einfacher, semantisch direkter und entspricht häufigeren Mustern in der griechischen Hydronymie.
Die Ableitung von Ὕλας ist zwar möglich und interessant, wäre aber eher als sekundäre oder volksetymologische Interpretation zu betrachten, sofern keine spezifischen historischen oder mythologischen Belege für eine Verbindung zu Hylas in der Region des Flusses vorliegen.
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Re: Hylaithos

Beitragvon Zythophilus » Do 12. Sep 2024, 13:52

Meine Vermutung war es auch, denn "Wald" passt eben gut dazu; leider wäre eine kurze erste Silber günstiger für den Hexameter.
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Re: Hylaithos

Beitragvon Tiberis » Do 12. Sep 2024, 15:53

die erste Silbe ist ja kurz, wie ich schon sagte. Nur das Grundwort ὕλη hat eine lange erste Silbe, die Komposita jedoch nicht, zumindest nicht laut Gemoll.
marcus03 hat geschrieben: αἶθος (aithos, "glänzend")

:?
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Re: Hylaithos

Beitragvon Lychnobius » Do 12. Sep 2024, 16:25

Der Gemoll verfährt sehr ökonomisch in den prosodischen Angaben und erwartet offenbar, dass die Benutzer bei Komposita auch unter der Ableitungsbasis nachschlagen. Jedenfalls sollte sich die Quantität des Υ bei ὕλη in Komposition nicht ändern (vgl. bspw. Hes. erga 691: καὶ βοὸς ὑλοφάγοιο κρέας μή πω τετοκυίης).

Bei Ὕλαιθος wird das Υ allerdings wohl tatsächlich kurz gemessen, zumindest in Vers 67 der in iambischen Trimetern verfassten Descriptio Graeciae von Dionysios, Sohn des Kalliphon:

... Μετὰ δὲ τήν
Τολοφῶνα ποταμός ἐσθ᾽ Ὕλαιθος λεγόμενος·
τοῦτον δὲ ῥεῖν λέγουσιν ἐξ Αἰτωλίας.
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Re: Hylaithos

Beitragvon Tiberis » Do 12. Sep 2024, 21:44

Lychnobius hat geschrieben:Der Gemoll (...)erwartet offenbar, dass die Benutzer bei Komposita auch unter der Ableitungsbasis nachschlagen

Das sehe ich nicht so. In analogen Fällen (langer Stammvokal des Basiswortes) wird diese Länge auch bei den Komposita angegeben,
z.B. χίλιοι > χιλίανδρος, δίνη> δινήεις, μῦθος> μυθολόγος usw.
Aber in Bezug auf die Komposita von ὕλη scheinst du recht zu haben, vgl. Hom . Od.1,246
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Re: Hylaithos

Beitragvon Zythophilus » Fr 13. Sep 2024, 09:39

Ich habe zur Sicherheit eine Alternativ des vorletzten Verses mit dem Fluss mit kurzer erster Silbe verfasst. Soll ich die nach Meinung der Experten nehmen?
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Re: Hylaithos

Beitragvon Lychnobius » Fr 13. Sep 2024, 17:48

Auf das Expertenwissen der jüngeren Zeit habe ich (unter angemessenem Aufwand) leider keinen Zugriff. Quelle der Wahl wäre wohl Marcottes Kommentar des Dionysiosgedichts (Le poème géographique de Dionysios, fils de Calliphon, éd., trad. et comm. Didier Marcotte, Leuven 1990). Eine ältere etymologische Deutung des Flussnamens (Fick 1897*) stellt eine Verbindung zu ὕαλος, ὕελος, "Kristall, Glas" her, nimmt die Kürze der Silbe bei Dionysios also durchaus ernst. Ein fraglicher Punkt wäre darüber hinaus, ob die Identifizierung des Mornos mit dem Hylaithos überhaupt haltbar ist.** Da sie allerdings zumindest zeitweilig angenommen wurde und somit zur Tradition gehört, ist diese Diskussion für deinen Vers wohl eher nachrangig.

Was den Gemoll betrifft, so muss man nach diesen Stichproben*** tatsächlich feststellen, dass er bei der Angabe von Quantitäten äußerst inkonsistent verfährt und aus einer fehlenden Quantitätenkennzeichnung, wie es scheint, überhaupt nichts abgeleitet werden kann.

* https://archive.org/details/beitrgezurk ... ew=theater
** https://archive.org/details/aetoliaitsg ... 0/mode/1up
*** Man vergleiche auch die von ψυχή gebildeten Komposita, bei denen das Υ ganz arbiträr mal als lang gekennzeichnet ist und mal nicht.
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Re: Hylaithos

Beitragvon Zythophilus » Sa 14. Sep 2024, 09:25

Danke, dass du dich so ausführlich mit meinem relativ unbedeutenden Problem befasst hast. Einen Hexameter mit diesem Fluss gibt es offensichtlich nirgends, denn der würde die Diskussion beenden. Auf die Diskussion, ob der heutige Mornos tatsächlich mit dem Hylaihtos identifiziert werden kann, bin ich ebenfalls gestoßen, aber zumindest in Griechenland scheint das die vorherrschende Meinung zu sein. Mornos wäre problemlos in einem Vers unterzubringen, ist aber leider kein antikes Wort.
Wenigstens wissen wir um die Quantitäten von Lychnobius Bescheid, sodass ich bei Bedarf alle Fälle bis auf den Vok. im Hexameter benutzen kann.
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Re: Hylaithos

Beitragvon Lychnobius » So 15. Sep 2024, 10:36

Zythophilus hat geschrieben:Einen Hexameter mit diesem Fluss gibt es offensichtlich nirgends, denn der würde die Diskussion beenden.

Ich konnte keinen finden. Allerdings sollte, trotz der Auflösungen, auch im zitierten Vers die Quantität der ersten Silbe des Flussnamens eindeutig bestimmt sein, da diese in einer der obligatorischen Kürzen liegen müsste:
Τολοφῶνα ποτα|μός ἐσθ Ὕλαι|θος λεγόμενος
vv - v vv | v - v - | - vv v -
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Re: Hylaithos

Beitragvon Zythophilus » So 15. Sep 2024, 13:51

Gratias!
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