Thuk. 5.105.2

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Thuk. 5.105.2

Beitragvon Roxane » Do 19. Jun 2014, 11:32

Der nächste Abschnitt. Heute ist allerdings erst einmal Feiertag, jedenfalls in Bayern....

[5.105.2] ἡγούμεθα γὰρ τό τε θεῖον δόχηι τὸ ἀνθρώπειόν τε σαφῶς διὰ παντὸς ὑπὸ φύσεως ἀναγκαίας, οὗ ἂν κρατῆι, ἄρχειν·
καὶ ἡμεῖς οὔτε θέντες τὸν νόμον οὔτε κειμένωι πρῶτοι χρησάμενοι, ὄντα δὲ παραλαβόντες καὶ ἐσόμενον ἐς αἰεὶ καταλείψοντες χρώμεθα αὐτῶι, εἰδότες καὶ ὑμᾶς ἂν καὶ ἄλλους ἐν τῆι αὐτῆι δυνάμει ἡμῖν γενομένους δρῶντας ἂν ταὐτό.


Denn wir glauben, dass das Göttliche – das ist zu vermuten (δόχηι = der Vermutung nach) -­ wie auch das Menschliche - das kann als gesichert gelten (σαφῶς) – allzeit (διὰ παντὸς) unter dem Zwang seines Wesens, da wo (= jedesmal wenn, ἐάν + Konj. Präs.; Iter.) es Macht hat, herrscht:
Wir haben das Gesetz weder verabschiedet noch das geltende (Gesetz) als erste angewandt, sondern es als bestehendes übernommen, wir werden es als das für immer gültige (Gesetz) hinterlassen und wir wenden es an, wobei wir wissen, dass ihr und andere, wenn ihr dieselbe Macht hättet wie wir, dasselbe tätet.
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Re: Thuk. 5.105.2

Beitragvon Prudentius » Sa 21. Jun 2014, 18:07

Hallo Roxane,

ὑπὸ φύσεως ἀναγκαίας


"infolge unausweichlicher Natur", aus Naturnotwendigkeit; anankaios ist Adjektiv, Attribut, abgeleitet von ananke.

"οὗ", wo, hast du wohl im Lexikon gefunden; gut, aber das Lexikon vermerkt nicht, dass es auch Gen. masc./neutrum des Relativums sein kann, und das scheint mir etwas besser: "... über alles, was es in die Hand bekommt, herrscht", oder "wen auch immer es in seine Hand bekommt...".

Etwas einfacher ausgedrückt: "...dass anscheinend das Göttliche, sicherlich aber das Menschliche...".

"διὰ παντὸς" auch: allenthalben.

"Wir haben das Gesetz weder verabschiedet": mit "Und" anknüpfen! "verabschiedet" zu parlamentarisch: "geschaffen, aufgestellt";

"das geltende (Gesetz)": alle Pc. sind prädikativ, also ohne Artikel übersetzen: "als ein geltendes...";

In dem vielgliedrigen Satz müssen wir irgendwie Ordnung schaffen, es soll deutlich als Hauptpunkt herauskommen: χρώμεθα αὐτῶ, wir bedienen uns nur des Gesetzes, wir sind nicht seine Urheber.

Es steckt noch viel interessantes darin, es soll erstmal genug sein,

lgr. P. :)
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Re: Thuk. 5.105.2

Beitragvon Roxane » Mo 23. Jun 2014, 10:22

Hallo Prudentius!

Oh ja, an das Relativpronomen οὗ hatte ich nicht gedacht, außerdem das ἀναγκαίας (was bin ich manchmal für ein Blindfuchs!) nicht als Adj.erkannt.
Etliches hast du noch wunderbar geglättet, das hätte ich nicht so hingekriegt.

Streng genommen habe ich zweimal das καὶ nicht übersetzt.

καὶ (!) ἡμεῖς οὔτε θέντες τὸν νόμον οὔτε κειμένωι πρῶτοι χρησάμενοι, ὄντα δὲ παραλαβόντες καὶ (!) ἐσόμενον ... Also: "Sowohl - als auch"

"Wir haben das Gesetz (sowohl) weder geschaffen noch ....., (als auch) werden wir es hinterlassen"

oder einfach: "Wir haben das Gesetz weder geschaffen noch ....., und wir werden es hinterlassen"

Kann man das so lassen?

Besten Dank und schöne Grüße für heute!
Roxane
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Re: Thuk. 5.105.2

Beitragvon Prudentius » Di 24. Jun 2014, 08:12

Hallo Roxane,

δόχηι - σαφῶς


Inkonzinnität darf nicht fehlen: ein Substantiv im Dativ steht neben einem Adverb.

"τό τε θεῖον ... τὸ ἀνθρώπειόν τε": substantivierte Adj. im Neutrum: beliebt bei Th.

Eine Reihe von wissenschaftlichen Fundamentalbegriffen taucht hioer auf, vllt. überhaupt erstmals:

- ὑπὸ φύσεως ἀναγκαίας die Naturnotwendigkeit; der Naturbegriff, als oberste Instanz; ein geistiger Regime-Wechsel: nicht mehr die Götter bestimmen alles, sondern sie zusammen mit den Menschen stehen unter dem Naturgesetz: "τό τε θεῖον ... τὸ ἀνθρώπειόν τε..."; die "Aufklärung" meldet sich zu Wort;

- τὸν νόμον das Gesetz

- θέντες τὸν νόμον: es gibt zwei Arten von Gesetzen: die ewigen und die von Menschen geschaffenen.

- διὰ παντὸς die Allgemeingültigkeit des Gesetzes: sie erst macht Wissenschaft möglich.

- εἰδότες Wissen heißt, das Gesetz zu kennen;

- δόχηι: doxa ist der Gegenbegriff: man meint etwas zu wissen, kann es aber nicht erklären.

Ich gehe jetzt gleich spazieren,

lgr. P. :)
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Re: Thuk. 5.105.2

Beitragvon Roxane » Di 24. Jun 2014, 14:40

Mit Freude sehe ich (und viele andere Foristen sicher auch), dass du vor deinem Morgenspaziergang noch Zeit für eine ausführliche Exegese des Kapitels gefunden hast. Manchmal habe ich den Eindruck, dass du dir noch viel mehr Gedanken machst als es etwa Classen getan hat.
Bei dem διὰ παντὸς und dem οὗ kommen die Übersetzer zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es mag wohl auch daran liegen, dass nicht jeder immer jeden einzelnen Satz so penibel unter die Lupe genommen hat.

Jetzt werde ich mal noch einen kleinen Abschnitt einstellen.

Danke sehr und bis irgendwann!
Roxane
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