Melierdialog (korr. Version)

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Melierdialog (korr. Version)

Beitragvon Roxane » Di 15. Apr 2014, 21:02

Melierdialog (5,84-116)

(84.1) Im folgenden Sommer selgelte Alkibiades mit zwanzig Schiffen nach Argos und nahm diejenigen Argeier gefangen, die noch verdächtig waren, mit den Lakedaimoniern zu sympathisieren, 300 Männer, und die Athener setzten sie auf den benachbarten Inseln fest, die sie beherrschten; auch gegen die Insel Melos zogen die Athener in den Krieg, mit 30 eigenen Schiffen, sechs chiischen (Insel Chios) und zwei lesbischen, ferner mit 1200 eigenen Hopliten, 300 (eigenen) Bogenschützen (zu Fuß) und 20 berittenen Bogenschützen sowie mit ungefähr 1500 Hopliten der Bundesgenossen, (die) ebenfalls Inselbewohner (von Chios und Lesbos waren).
(84.2) Die Melier sind zwar Kolonisten der Lakedaimonier, den Athenern aber wollten sie sich nicht
unterordnen wie die anderen Inselbewohner, vielmehr bewahrten sie zuerst Ruhe und hielten sich neutral heraus, dann, als die Athener durch die Verwüstung ihres Landes versuchten, Druck auszuüben, wählten
sie einen offenen Krieg.
(84.3) Nachdem die Feldherrn Kleomedes, der Sohn des Lykomedes, und Teisias, der Sohn des Teisimachos nun mit dieser Streitmacht auf deren Land ein Lager aufgeschlagen hatten, schickten sie, ehe sie dem Land irgendeinen Schaden zufügten, Gesandte, die zuerst reden sollten. Die Melier führten diese nicht vor die Volksmenge, sondern ordneten an, dass sie vor den Behörden und den Adligen den Grund ihres Kommens darlegten.

(85) Die Gesandten der Athener sagten: „Da sich ja unsere Rede nicht an die Volksmenge richtet, damit die Leute, wenn sie in einer zusammenhängenden Rede verführerische und unwiderlegbare Dinge in einem Mal von uns hören, nicht getäuscht werden – denn wir wissen, dass dieses unser Hinschaffen zu den Adligen bezweckt – handelt, die ihr hier sitzt, noch vorsichtiger.“

(86) Die Abgeordneten der Melier antworteten: „Die Loyalität, unsere Standpunkte in Ruhe auszutauschen, wird nicht beanstandet, aber der schon vorhandene, nicht ein zukünftiger Kriegszustand steht dazu sichtlich im Widerspruch. Denn wir sollten beachten, dass ihr sowohl als Richter über das, was gesagt werden wird, gekommen seid als auch, dass es das Ende (der Verhandlungen) bedeutet, falls wir mit unserem Rechtsgrundsatz bei diesem (Meinungsaustausch) der Wahrscheinlichkeit nach die Oberhand gewinnen und deshalb nicht nachgeben, dass es aber Knechtschaft bedeutet, wenn wir uns fügen."

(87.1) Die Athener: "Wenn ihr nun (lieber) gekommen seid, um Mutmaßungen über die zukünftige Lage aufzuzählen oder irgendetwas anderes (aufzuzählen), als was ihr aufgrund der gegenwärtigen Lage und aufgrund dessen, (was) ihr vor Augen habt, über eine Rettung der (/für die) Stadt beraten wollt, könnten wir (die Verhandlungen auch genauso gut gleich) beenden; wenn (ihr) aber zu diesem Zweck (gekommen seid, um .. zu beraten), sollten wir reden."

(88.1) Die Melier: "Es ist folgerichtig und verzeihlich, dass wir, die wir uns in einer solchen Lage befinden, in alle möglichen Richtungen reden und denken (/uns in alle möglichen Richtungen <ἐπὶ πολλὰ> wenden, wenn wir reden und denken). Freilich geht es in unserer augenblicklichen Zusammenkunft insbesondere (καὶ) um unsere Rettung, und wenn ihr meint, möge die Verhandlung auf die vorgeschlagene Weise stattfinden."

(89) Die Athener: „Wir selber werden weder mit schönen Worten eine lange Rede halten, die unglaubwürdig wäre, sei es (darüber), dass wir wegen der Vernichtung des Meders verdientermaßen herrschten, oder
(darüber), dass wir wegen des erlittenen Unrechts jetzt gegen euch vorgingen, noch verlangen wir, dass ihr meint, (uns) überzeugen zu können, sei es mit dem Argument, ihr seied als Kolonisten der Lakedaimonier nicht mit ihnen zusammen in den Krieg gezogen, oder mit dem (Argument), ihr hättet uns kein Unrecht getan; wir sollten vielmehr über das Erreichbare dessen, was wir beide in Wahrheit (..meinen; = was nach unserer wahren Erkenntnis möglich ist), verhandeln, da ihr genauso gut wisst wie wir, dass zwar nach menschlicher Berechnung Gerechtigkeit bei Gleichheit der Zwangslage (= wenn die Nötigung auf beiden Seiten die gleiche ist) zur Anerkennung kommt, aber dass die Überlegenen das, was erreichbar ist, durchsetzen und die Schwachen nachgeben.

(90) Die Melier: "Wie wir nun allerdings glauben, wäre es nützlich - wir müssen nämlich (so reden), nachdem ihr es als Grundsatz aufgestellt habt, statt von Recht von Nutzen zu sprechen -, dass ihr nicht den allen Menschen gemeinsamen Vorteil (= das Recht als Grundlage der menschlichen Gesellschaft/ das Allgemeinwohl) abschafft, sondern dass ihr jedem, der (vor Gericht) in Gefahr (/Bedrängnis) gerät, das Billige (/Angemessene) wie Gerechtes zuteil werden lasst und dass er, wenn er überzeugen kann, einen Vorteil aus dem zieht, was auch (aus eurer Sicht) innerhalb des strengen Rechts liegt. Auch für euch wäre dieses nicht weniger wert, umso mehr als ihr, wenn ihr unterliegt, wegen der härtesten Strafe für die anderen ein Beispiel werden könntet."

(91.1) Die Athener: „Wir sind doch nicht bedrückt bei dem Gedanken an das Ende unserer
Herrschaft, sogar (dann nicht), wenn sie gestürzt werden sollte. Denn nicht die, die wie auch die
Lakedaimonier über andere herrschen, sind für die Besiegten schrecklich (im Übrigen führen wir
keinen Kampf gegen die Lakedaimonier), sondern (es ist schrecklich) wenn die Untergebenen selbst irgendwann die Herrschenden angreifen und besiegen sollten.
(91.2) Und überhaupt soll es uns überlassen sein, (was) wir damit für uns aufs Spiel setzen: Dass
wir nämlich sowohl zum Nutzen unserer Herrschaft hier sind, als auch um jetzt die Verhandlungen zur
Rettung eurer Stadt zu führen, das wollen wir zeigen; dabei möchten wir ohne Mühe über euch zur
Herrschaft gelangen, ebenso (möchten wir), dass ihr gerettet werdet, (so dass es) für beide Seiten ein Vorteil (wäre).“

(92) Die Melier: „Doch wie könnte uns durch eine Unterwerfung ein Nutzen zuteil werden so wie
euch durch eure Herrschaft?“

(93) Die Athener: „Dass ihr anstatt das Schrecklichste zu erleiden, euch freiwillig unterwerft,
könnte sich für euch (als Nutzen) erweisen, für uns aber könnte es ein Vorteil sein, wenn wir euch
nicht zugrunde richten.“

(94) Die Melier: „Dass wir uns heraushielten (/ruhig verhielten), eure Freunde statt eure Feinde
wären und weder Verbündete der einen noch der anderen, werdet ihr wohl nicht hinnehmen?“

(95) Die Athener: „Nein, denn eure Feindschaft schadet uns nicht so sehr wie eure Freundschaft,
insofern als diese sich den Beherrschten als Beweis unserer Schwäche, der Hass dagegen als Beweis unserer Stärke offenbart.“

(96) Die Melier: „Betrachten denn eure Untertanen das Angemessene in der Weise, so dass sie zwischen
denjenigen, die nicht (zum att. Seebund) dazugehören und all denjenigen, die unterworfen sind – in der Mehrzahl die, die Kolonisten sind sowie einige Aufständische - keinen Unterschied machen?“

(97) Die Athener: „An Rechtsgründen steht keiner dem anderen nach, an Macht aber seien die einen überlegen, meinen sie, wir aber griffen aus Furcht nicht an. Abgesehen also davon, dass wir über die Mehrzahl herrschten, würdet ihr durch eure Unterwerfung unsere Stellung sichern, besonders wenn nicht ihr euch als Inselbewohner, da ihr noch unbedeutender sind als andere, gegen uns, die Beherrscher des Meeres, behauptet.“
Zuletzt geändert von Roxane am Mo 12. Mai 2014, 14:48, insgesamt 7-mal geändert.
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Re: Melierdialog (korr. Version)

Beitragvon Prudentius » So 20. Apr 2014, 15:51

86
dass ihr sowohl als Beurteilende/Deuter


"als Richter", denn der "Dialog" ist eigentlich ein Gerichtsverfahren, und die Verurteilung der M. steht schon vorher fest.
Prudentius
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